Seite 1 von 1

Peter-Pan-Syndrom

Verfasst: 21. August 2016, 12:46
von fehlgeleitet
Das Peter-Pan-Syndrom ist der Titel eines Buches des amerikanischen Familientherapeuten Dan Kiley. Er schreibt darin populärwissenschaftlich über „Männer, die nie erwachsen werden“ (Untertitel des Buches). Das Anfang der 1980er Jahre auch auf deutsch erschienene Ratgeberbuch erfreute sich großer Popularität. Der Begriff „Peter-Pan-Syndrom“ blieb populär für die Bezeichnung unangemessen kindlicher Verhaltensmuster bei Männern.
Kiley beschreibt sechs Symptome des Peter-Pan-Syndroms, wobei er die Begriffe „Syndrom“ und „Symptom“ zwar der klinischen Psychologie entlehnt, sie aber in seinem eigenen populärwissenschaftlichen Stil gebraucht und beschreibt:

1) Verantwortungslosigkeit: Der Betreffende drückt sich vor seinen Pflichten. Er verlacht unbekümmert die geltenden Regeln, schiebt die Erledigung von Aufgaben vor sich her. Spaß und Abneigung gegen Selbstdisziplin sind sein Credo. Nie sucht er die Schuld an Misserfolgen bei sich selbst. Dank blühender Fantasie kann er sich zum Tagträumer entwickeln.
2) Angst: Er verbirgt ein Schuldgefühl gegenüber den Eltern. Er verarmt emotional, wird unfähig zu tiefer Liebe für andere Menschen.
3) Einsamkeit: Aus dem Gefühl, vom Vater abgelehnt zu werden, entwickelt sich eine ständige Suche nach Freunden, die aber vergeblich bleibt und durch Anpassung an Kumpel-Gruppen kompensiert wird.
4) sexueller Rollenkonflikt: Einerseits führen Sexualtrieb und Wunsch, geliebt zu werden, schnell zu Partnerschaften, andererseits verhindern Unsicherheit, mangelndes Selbstvertrauen, Prahlerei und cooles Macho-Gehabe eine positive und von Offenheit geprägte Beziehung zur Partnerin, außer wenn sie aus Angst vor Verlust und Selbständigkeit willig die überfürsorgliche, nachgiebige, einseitig altruistische, stets auf Harmonie und Konfliktvertuschung bedachte, sich zur Märtyrerin stilisierende „Mutterrolle“ übernimmt.
5) Narzissmus: Selbstverliebtheit, Perfektionismus.
6) Chauvinismus: verächtliche sexistische Einstellung.
der Name beruht auf dem ursprünglichen Peter Pan, nicht der angepassten kinderfreundlichen Version die Disney daraus gemacht hat.
 Peter Pan verkörpert die Unschuld und Sorglosigkeit der Kindheit, die Lust an imaginären und oft gewalttätigen Abenteuern, ohne Sorge oder Verständnis für echte Gefahren und echtes Leid. Während alle anderen Kinder diese Erfahrungswelt (verkörpert durch das Nimmerland) irgendwann verlassen und erwachsen werden, wird Peter Pan nicht erwachsen und verändert sich nie.

Das Ende der Romanfassung zeigt dabei deutlich eine Zwiespältigkeit: Peter kann seine Kindlichkeit nur dadurch bewahren, nur dadurch unverändert bleiben, dass er alles Andere, Veränderliche schon bald vergisst, auch wenn es ihm einmal sehr wichtig war. Als er nach einem Jahr Wendy erneut begegnet, erinnert er sich nicht mehr an Captain Hook und nicht einmal an Glöckchen, die inzwischen, wie der Leser erfährt, wahrscheinlich gestorben ist. Auch Wendy vergisst er bald, und als er schließlich doch wieder zurückkehrt, ist Wendy erwachsen und hat selbst eine Tochter, die ihren Platz als Peters „Mutter“ einnimmt.

Auch wenn sich Themen wie „Indianer“ und „Piraten“ einer bestimmten Epoche zuordnen lassen, ist Peter Pan ein relativ zeitloser Roman, der Kinder aus aller Welt miteinander vereint. Peters egoistische Verhaltensweisen und „Abenteuer“ sind ebenfalls typische Verhaltensmuster von Kindern – das Geschlecht spielt dabei keine Rolle. Peter wird auch weiterhin Kinder nach Nimmerland entführen, denn, um es mit den Worten des Erzählers auszudrücken: „Alle Kinder verlassen eines Tages ihr Nimmerland, kommen nach Hause und werden erwachsen. Nur ein Kind nicht.“

Eine andere Interpretationsmöglichkeit:
Die verlorenen Jungs werden nicht erwachsen, da sie im Kindesalter gestorben sind. Sie sind in den "Kinderhimmel" (= Neverland) gekommen und Peter Pan wird als Engel gedeutet, der die Kinder ins Neverland abholt, nachdem sie gestorben sind.
ok das ist ein bisschen viel Text, worum es mir geht ist eine Diskussion darüber, inwiefern die verweigerung von Reife tatsächlich das gleiche ist wie ein offenes Weltbild. Bedeutet es ein offenes Weltbild zu haben eben jener Wanderer zu sein, der von Wasserstelle zu Wasserstelle zieht und sich nirgendswo ernsthaft bindet?
Ist die Forderung nach Reife eine reaktionäre Weltsicht?
Und vor allen Dingen: Was passiert, wenn eine Gesellschaft aus lauter Peter Pans besteht?

Ich habe ja mal einen ähnlichen Wikiartikel geschrieben, wobei ich nicht wußte, dass die Diagnose bereits existiert.

Re: Peter-Pan-Syndrom

Verfasst: 21. August 2016, 12:55
von fehlgeleitet
was ein offenes Weltbild ist, definiert Metzinger hier.

Dessen Ahnherr, Pyrrhon, hatte etwas von einem Peter Pan. Mit dem unterschied, dass Gedanken auch zuende gedacht wurden, wenn sie höchst unangenehm waren. Oder bilde ich mir das nur ein? Es ist manchmal sehr schwer zu sagen, wann man flieht oder wann man nur konsequent ist.

its a problem

edit: also peter pan ist schoneinmal nicht besonders selbstkritisch. Selbstkritik ist aber ein immanenter Bestandteil eines offenen Weltbildes. Hier kann man sich aber in die Tasche lügen und etwas für Selbstkritik halten, was bestenfalls symbolischen Wert besitzt.

Der Grund dafür ist, dass wir kaum in der Lage sind, uns von unserem Selbstbild zu lösen (vgl Ego-Tunnel).

Andrerseits glaube ich nicht, dass die annahme von tradierten "Werten" irgendetwas mit verantwortung zu tun hat, eher im Gegenteil. Das Wort "Reife" müsste in diesem Zusammenhang genauso kritisch betrachtet werden wie die behauptete Verantwortungslosigkeit des Lebemanns (bzw. Kindes) Peter-Pans.

Re: Peter-Pan-Syndrom

Verfasst: 21. August 2016, 16:51
von Tarvoc
fehlgeleitet hat geschrieben:Ist die Forderung nach Reife eine reaktionäre Weltsicht?
Wenn das gegen die angebliche "Kindlichkeit" der Millennials ausgespielt wird: Ja, definitiv.

Es gibt ja auch den Mythos, dass die "Infantilisierung" (wenn es denn sowas gibt) der Generation Y damit zusammenhängt, dass es uns zu gut geht. Es dürfte sich aber bei der Ursache dafür eher um ein Resultat mangelnder Möglichkeiten an echter gesellschaftlicher Partizipation und zunehmender Entfremdung handeln. Die Tatsache ist einfach die, dass der Kapitalismus die Menschen immer schon infantilisiert hat. Nur sind inzwischen die althergebrachten traditionellen Institutionen, die durch Disziplinierung die direkte Artikulation dieser Infantilisierung verhindert oder kanalisiert haben, ebenfalls durch die brutale Macht des Weltmarkts ökonomisch aufgelöst worden, und die Digitalisierung bietet ganz neue Möglichkeiten der Kanalisierung oder des Ausdrucks der eigenen Infantilisierung. Die Reaktionäre rennen mal wieder nicht nur gegen revolutionäre Bewegungen an, sondern bereits gegen die revolutionierenden Wirkungen des von ihnen ansonsten gepriesenen Kapitalismus selbst. Sie wollen ihren Kuchen gleichzeitig essen und behalten. Die Idee eines Kapitalismus mit lauter Arbeitern, die alle das Mindset amerikanischer Unternehmer-Pioniere des 19. Jahrhunderts und das Benehmen viktorianischer Aristokraten haben, ist ein Widerspruch in sich selbst.

Re: Peter-Pan-Syndrom

Verfasst: 21. August 2016, 21:07
von fehlgeleitet
mh. ok. also über reife ist nichts zu machen. das ist dann immer rückwrtsgewandt.

andrerseits empfinde ich es als problematisch, sich auf nichts wirklich einlassen zu können, insbesondere, wenn es ein Loch in den eigenen Lebenslauf reißen könnte. In diesem Sinne kann kindlich auch als ein synonym für unmündigkeit gelten. Es setzt implizit den erwachsenen im hintergrund vorraus, der mich im zweifel aus der scheiße holt.

"sie wissen nicht was sie tun, sie denken sie befinden sich in einer Simulation"

aus irgendeinem SciFi-Film.

Re: Peter-Pan-Syndrom

Verfasst: 21. August 2016, 22:09
von Tarvoc
fehlgeleitet hat geschrieben:mh. ok. also über reife ist nichts zu machen. das ist dann immer rückwärtsgewandt.
Würde ich nicht sagen. Bei Engels gibt es auch einen Begriff von Reife, dort politisch gewandt, und verstanden als Organisationsgrad und Grad des politischen Bewusstseins der Arbeiterklasse.
fehlgeleitet hat geschrieben:andrerseits empfinde ich es als problematisch, sich auf nichts wirklich einlassen zu können, insbesondere, wenn es ein Loch in den eigenen Lebenslauf reißen könnte.
HAHAHAHA - genau umgekehrt wie bei mir. Ich müsste endlich mal meinen Lücken sowas wie einen Lebenslauf hinzufügen. :ugly:

Re: Peter-Pan-Syndrom

Verfasst: 23. August 2016, 18:54
von Schohns
Tarvoc hat geschrieben:Die Tatsache ist einfach die, dass der Kapitalismus die Menschen immer schon infantilisiert hat.
Was genau meinst du? Dass der K geradezu zwangsläufig infantiles Verhalten bei den Menschen erzeugt/verstärkt (Gier, keine Verantwortung fürs eigene Handeln übernehmen)?
Oder dass es im derzeit vorherrschenden K eine Idealisierung der Jugend gibt (jung zu sein wird als erstrebenswert, cool, schick, wasauchimmer dargestellt)?

Re: Peter-Pan-Syndrom

Verfasst: 24. August 2016, 00:49
von Tarvoc
Schohns hat geschrieben:Was genau meinst du? Dass der K geradezu zwangsläufig infantiles Verhalten bei den Menschen erzeugt/verstärkt (Gier, keine Verantwortung fürs eigene Handeln übernehmen)?
Oder dass es im derzeit vorherrschenden K eine Idealisierung der Jugend gibt (jung zu sein wird als erstrebenswert, cool, schick, wasauchimmer dargestellt)?
Das hängt natürlich beides zusammen, aber ich meinte schon ersteres. Allerdings betrifft das auch die arbeitenden Klassen, und zwar gerade dadurch, dass sie von der Organisation der Produktion ausgeschlossen sind. Im 19. Jahrhundert war der Paternalismus, bei der sich der Kapitalist als eine Art "Vaterfigur" seiner Angestellten verstand, ja noch sehr viel expliziter. Tatäschlich behandeln gerade große, internationale Konzerne ihre Angestellten auf den unteren und mittleren Ebenen aber auch heute noch wie Kinder. Der Film "Office Space" stellt das ja ganz schön dar. Das kindliche Verhalten vieler Menschen ist lediglich das Resultat der Behandlung, die ihnen zuteil wird. Aber das betrifft auch nicht nur Firmen. Auch Staaten behandeln ihre Untertanen Bürger immer öfter wie Kinder, ebenso viele Medien ihr Publikum.

...und wenn wir über die Dritte Welt reden, wird's sogar noch viel krasser offensichtlich. Dort herrschen ja vielfach noch Verhältnisse wie im 19. Jahrhundert.