Eine Einführung in den Discordianismus für Fortgeschrittene
'Der Widerspruch ist eine Kategorie des menschlichen Geistes
und nicht an und für sich ein Element der Wirklichkeit.'
- Erich Fromm -
Discordianismus ist die Welt.
Was für die Sprache gilt, muss auch für das Lachen gelten.
So verwundert es nicht, dass dies endlich einmal von jemandem ausgesprochen wird.
Das Tao, das nicht genannt werden kann, kann folgerichtig auch nicht gelacht werden.
Mutatio fideles elegit.
Der Discordianer sollte darüber meditieren.
Papst Obvious [Hermetic Order of the Golden Apple]
Als im Jahre 1958 die Propheten Kerry Thornley und Gregory Hill ihre eristische Doppel-erleuchtung erlebten, offenbarte ihnen die Göttin die zwei Grundsätze des Discordianismus:
getarnt als Religion.
Der Discordianismus ist eine Religion
getarnt als komplizierter Witz.'
Seit den frühen Tagen des Discordianismus ist der Komplizierte Witz ein wesentlicher Bestandteil discordianischer Theorie und Praxis, wenn nicht sogar ihr Kernpunkt. Dieser Komplizierte Witz ist es, der die größte Anziehung auf die 'Neulinge' im Discordianismus ausübt. Die intellektuelle Tiefe dieses Witzes ist vor allem jenen Menschen zugänglich, welche mit kritischen Verstand jede Autorität analysieren. Diese Menschen erkennen oft schnell die Nutzlosigkeit jeder Autorität, welche die Probleme zu beseitigen vorgibt, die sie selbst geschaffen hat. Dieser Erkenntnis wohnt ein Witz inne, welcher den Discordianer fundamental prägt und von anderen Anarchisten deutlich unterscheidet. Wem dieser Witz entgeht, leidet oft durch die Sinnlosigkeit menschlichen Handels. Der Discordianer nimmt aber diese Sinnlosigkeit als Motor für seinen Humor und seine schöpferischen Aktivitäten. Befreit von dem 'Sinn der Massen' kann er sich seinen eigenen Sinn schaffen und diesen, mittels des Komplizierten Witzes, sowohl den anderen Menschen mitteilen, als auch diesen Sinn wiederum zerschlagen, um eine noch tiefere Einsicht in das Leben und Denken der Menschen zu gewinnen.
Dass dieser Witz im Westen die äußere Form einer Religion annehmen will, ist nur verständlich, ist doch die christliche religiöse Institution Kirche oftmals die erste Autorität, welche ein Mensch, in diesen Ländern, bewusst hinterfragt und für lächerlich befindet. So ist die Tarnung des Komplizierten Witzes als Religion die Weiterführung der ersten Rebellion und damit die Vertiefung der frühesten eristischen Erkenntnis.
Betrachten wir den Discordianismus von der theologischen Gedankenwelt aus, so stellt man schnell fest, dass durch das Fehlen von festen Glaubensregeln, heiligen Texten oder dem klassischen Meister-Schüler-Verhältnis der Discordianismus keine Religion im klassischen Sinne sein kann. Das ist aber nur in soweit richtig, wie wir den Discordianismus in institutioneller Weise als Religion verstehen, denn all diese Merkmale deuten auf eine Autorität, doch muss Religion nicht zwingend Autorität sein. In ihrer Hauptaufgabe soll Religion das sinn-stiftende Moment im Leben eines Menschen sein. Dies ist es, was der Discordianismus mit anderen Religionen gemeinsam hat. So dient der Komplizierte Witz vor allem der Sinn-suche. In seiner höchsten Form stellt er die Essenz eristischer Weisheit dar. Im Anfangsstadium des Discordianers ist er aber vor allem Praxis, die dem Suchenden helfen soll, sich von den inneren und äußeren Autoritäten zu befreien. Der Versuch, sich der Lächerlichkeit jedweder Autorität vor Augen zu führen, schafft im Übenden die Bereitschaft, sich die Frage zu erschließen: Wer ist der Eine, vertrauenswürdiger als alle Buddhas und Weisen? Um dieses Problem zu lösen bedarf es das völlige Fehlen von Bindungen an Autoritäten. Hier finden wir den Unterschied zu den meisten anderen Religionen. Indem der Discordianismus alle Autorität verneint, schafft er die Möglichkeit und Notwendigkeit sich mit einer Vielzahl von religiösen und philosophischen Systemen e r n s t h a f t auseinander zu setzen, ohne einem von ihnen einen völligen Wahrheitsanspruch zu zuschreiben. Es ist eher die Synthese all jener Theorien und Praktiken, welche den Discordianer auf seinem spirituellen Wege voranschreiten lässt. Die Entwicklung eines Multi-Ego schafft in ihm die Fähigkeit, die, gemäß der Situation zutreffende, momentane Wahrheit zu erkennen. In diesem Streben nach intuitiver Weisheit und geistiger Befreiung ähnelt er vielen asiatischen Religionen, doch ist seine synergetische Praxis einzigartig.
Der Alte Bund
Stimmen wir den oberen Aussagen zu, so zeigt sich in der discordianischen Vergangenheit doch ein deutliches Ungleichgewicht zu Gunsten des Discordianismus als komplizierter Witz. Ich nenne dies den Discordianismus des alten Bundes. Zwar wirkt es so, als dass die bekanntesten Vertreter, wie Robert Anton Wilson, diesen Dualismus verstanden und den religiösen Aspekt gleichberechtigt behandelt zu haben, doch scheint es in der Mehrheit der Discordianer kein Verständnis dafür zu geben. Ihre Praxis bleibt oft beim Witz stecken, wodurch zum einen der Witz als solcher an Tiefe verliert, zum Anderen der Übende an tieferen Erkenntnissen gehindert wird. Die Zahl der religiös-discordianischen Schriften ist verschwindet gering. Auch in der Praxis, der Operation Mindfuck, sorgt dieses Ungleichgewicht für den Misserfolg. Versucht man die OM nur als Witz auf die Anderen zu richten, so bewirkt sie nichts weiter als Missverstehen. Richtet man sie dagegen zuerst auf den eigenen Geist, so entsteht eine Ebene auf der wir auch bei den Anderen neue Erkenntnisse schaffen können.
Der Discordianismus des alten Bundes, wie er fast ausschließlich seit Entstehung des Discordianismus vorherrscht, kann seine Ziele weder beim Einzelnen, noch bei der Gruppe oder gar gesamt-gesellschaftlich erreichen. Sein Scheitern wird in der mangelnden Verbreitung des Discordianismus genauso deutlich, wie in der flachen, fast nicht vorhanden, Praxis seiner Anhänger.
Die Anhänger des Discordianismus des Neuen Bundes fordern eine radikale Reform eristischer Nicht-Gemeinden. Will der Discordianismus in Zukunft sowohl seinen Anhängern als auch den anderen Menschen nutzbringend sein, so muss die religiöse Praxis des Discordianismus stärker als bisher Beachtung finden. In einer solchen eristischen Lebensweise muss Raum für die spirituelle Praxis und das Studium der Religionen und Philosophien sein. Nur wenn der Discordianismus diese Wandlung schafft, kann er langfristig seine Anhänger binden und ihnen eine Hilfe sein. Schaften wir diese Wandlung nicht, so wird der Discordianismus immer Freizeitspaß für 16 bis 35 jährige Intellektuelle bleiben und durch seine Nichtigkeit bald von einem anderen Spaß überschattet werden.
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