NN.doc ist ein altes Dokument, das noch aus dem Jahr 2006 oder 2007 stammt. Ich stell' hier allerdings erstmal nur einen Teil rein.
NN.doc
Gorgo.doc hingegen stammt aus dem Jahr 2010.Achten Sie gar nicht auf mich. Meine Präsenz ist, kosmisch betrachtet, von eher geringer Bedeutung. Richten Sie Ihren Blick stattdessen auf die riesige Glaskuppel vor Ihnen. Beobachten Sie, wie das Licht in dem seltsamen Schliff der Kuppeloberfläche absonderliche Lichteffekte erzeugt. Spüren Sie das Gras unter Ihren Füßen. Machen Sie sich keine Gedanken darüber, was eine solche Glaskuppel auf einer Frühlingswiese zu suchen hat. Ich denke, zu diesem Zeitpunkt ist diese Frage noch nicht von Bedeutung - obwohl ich mich darin natürlich irren kann. Doch fürs Erste genügt es, wenn Sie sich damit zufrieden geben und sich am Spiel des Lichts und am Flug der Zitronenfalter erfreuen.
Doch warten Sie - etwas lenkt meine Aufmerksamkeit von dieser Szene ab. Ich sehe mich um. Es ist wieder jene dunkle Straße an jenem schicksalhaften Oktobertag im Jahr 2008. Fernes Donnern dringt an mein Ohr. Hat es etwa bereits begonnen? Ich wende mich ab und suche die Quelle des Geräusches, welches mit unbestimmbarer Geschwindigkeit näher zu kommen scheint. Über mir bemerke ich bereits die kreisenden Hubschrauber. Um mich herum werden die Barrikaden errichtet, die in nur wenigen Stunden von Flammen und Rauchschwaden eingehüllt sein würden. Doch warten Sie, ich glaube, ich bin zu schnell. Gehen wir ein paar Jahre zurück an den Ort, wo, wie man so naiv zu sagen pflegt, die Dinge ihren Anfang nahmen.
Ein stickiges Hotelzimmer in einem dieser kleinen, wenig luxuriösen Hotels, irgendwo am Rande New Yorks. Ja, ich denke, hier ist der Ort, an dem ich, nicht ohne eine gewisse Willkür in einer solchen Verortung zu konstatieren, den Anfang der Entwicklungen verorten kann. Marihuanaduft liegt in der Luft. Verschiedenste Bücher und Zeitungsartikel liegen auf dem Boden verstreut. Ich erinnere mich wieder, wie ich auf dem Bett liege und die Effekte genieße, die das THC in meinem Nervensystem entfaltet. Ganz gewiss gutes Zeug! Sie kennen das vielleicht, wenn das Bewusstsein langsam aus der Stirn in den Kosmos herausströmt. Aber nicht, als hätte man eine Axt im Schädel oder so, sondern eher wie ein sanfter Strom, fließend, plätschernd, sich entfaltend. Die tiefen Strukturen der Realität in sich aufnehmend.
Doch - warten Sie. Ein anderer Ort, eine andere Zeit. Die beiden ermittelnden Beamten stehen am Ort des grausigen Verbrechens. "Das Opfer wurde mit den Füßen an diesem Balken hier aufgehängt, mehrmals mit einem Messer bearbeitet und schließlich wurde ihm die Kehle durchgeschnitten und es wurde hängen gelassen, bis es ganz ausgeblutet war." Der Ältere der beiden sieht sich um und versucht, weitere wichtige Details in den Blick zu bekommen, während der Jüngere ganz bleich geworden ist und schockiert aussieht. "Das alles in meiner Wohnung... in meiner Wohnung!", stammelt er, verwirrt, aber nicht ohne einen Unterton der Empörung über diesen Affront gegen seine Privatsphäre. "Glaubst du, das Opfer hat sehr gelitten?" "Das ist anzunehmen", antwortet der Ältere, "sieh' dir nur das ganze Blut und die Federn an. Der Täter muss das Opfer stundenlang gequält haben, bevor er ihm die Kehle durchschnitt." "Oh mein Gott, und das alles in meiner Wohnung!", stammelte der Jüngere. "Sie wiederholen sich.", bemerkte der Ältere ganz richtig. "Reißen Sie sich zusammen! Das hier ist ein Mordfall. Ah, da kommen ja auch schon die Jungs von der Pathologie." Er wendet sich an die beiden Männer, die soeben mit einer Bahre den Ort des Geschehens betreten hatten. Er weist auf die furchtbar entstellte Leiche. "Dies ist das Opfer.", bemerkt er lapidar. Die Männer platzieren den toten und verstümmelten Körper des Suppenhuhns auf einer Bahre und verlassen den Ort. "So, nun müssen wir nur noch auf die Spurensicherung warten", bemerkt der Ältere, während sich der Jüngere völlig entkräftet in einen Sessel fallen lässt.
Natürlich wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dieser Mordfall eine Kausalkette von Ereignissen auslösen, oder, anders und vielleicht besser ausgedrückt, fortführen würde, die unter Anderem auch zu den Ereignissen im Jahr 2008 führen würde. Mein Job war es, den Täter zu finden, und für Anderes hatte ich momentan keine Augen. Nur um meinen neuen Partner machte ich mir sorgen. Er war erst seit Kurzem bei der Mordkommission und sah ziemlich fertig aus. Die Sache hatte ihn ordentlich mitgenommen und ich dachte, es würde das Beste sein, wenn wir uns sogleich an die Arbeit machten. Wir befragten also die Zeugen in der Umgebung, doch weder hatte jemand etwas gesehen noch gehört. Nur eine alte, verwirrt wirkende Dame wollte gesehen haben, wie ein Mann mit brauner Mönchskutte und Kapuze auf die Außenwand des Hauses zugeschritten und dann plötzlich im Nichts verschwunden sei. Mein Kollege bestätigte meinen Verdacht, dass die Aussage dieser Zeugin nicht wirklich als glaubhaft gelten könnte.
Doch kehren wir zu der Wiese zurück. Sie erinnern sich noch, wie Sie mich zurückgelassen hatten? Sie hatten mir geraten, mich nicht mit lästigen Fragen zu quälen, sondern lieber die Stille und Harmonie zu genießen. Dann waren Sie fort und ich betrachtete die Kuppel. Ein perfektes Werk, von Menschenhand geschaffen, inmitten einer perfekten Umgebung, durch natürliche Auslese und Evolution entstanden. Mensch und Natur, Planmäßigkeit und Zufall, natürliche Evolution und absichtsvolle Schöpfung, das Wasser des Lebens und das Feuer des menschlichen Geistes, Yin und Yang wenn Sie so wollen, in ewiger und wunderbarer Harmonie vereint. Ich könnte ewig hier stehen und diese Szene genießen. Fast möchte ich glauben, Sie hätten Recht mit der Bemerkung, die Frage nach dem Warum sei, zumindest zu diesem Zeitpunkt, bedeutungslos. Ach, wenn ich es nur nicht besser wüsste!
Als Nächstes widmet sich der linke Intellektuelle den Zeitungsausschnitten, die zwischen den Büchern verstreut herumliegen. Wahllos greift er sich eine heraus und betrachtet den Kopfartikel, den er offenbar sogar markiert hat. Es handelt sich um die New York Times und die Artikelüberschrift lautet "SUPPENHUHN IN WOHNUNG VON NYPD DETECTIVE ERMORDET. Wohnungsbesitzer hat Alibi für die Tatzeit." Er setzt eine gleichermaßen verwunderte und verärgerte Miene auf. "Suppenhuhn ermordet? Was soll der Quatsch?" Verärgert knüllt er die Zeitung zusammen, greift seinen Mantel und verlässt das Zimmer.
Es ist eine kalte Oktobernacht. Ein Mann, den Hut ins Gesicht gezogen, bewegt sich langsam die Straße entlang. Immer nach etwas oder jemandem Ausschau haltend. Eine junge Frau in einem langen Ledermantel nähert sich und der Mann spricht sie an. "Sie sagten, Sie hätten Informationen für mich?" "Oh ja", antwortet die Frau, "die habe ich. Hier in diesem Umschlag habe ich alles, was Sie zu diesem Zeitpunkt wissen müssen." Die Frau blickt ihn ernst an. "Nun gut", antwortet der Mann, "was wollen Sie dafür?" "Das Übliche", antwortet sie und überreicht den Umschlag. "Sie wissen ja, wo Sie mich finden können. Auch falls Sie noch Fragen haben. Viel Glück." Der Mann bedankt sich und die beiden gehen getrennte Wege.
Nun war es meine Aufgabe, die erhaltenen Informationen auszuwerten. Als ich in mein Hotelzimmer kam, setzte ich mich daher zuerst an den Tisch im Wohnzimmer und öffnete den Umschlag. Heraus fielen einige Fotos. Fotos? Ich war mir nicht sicher, ob das die Art von Information war, die mir weiterhelfen würde. Als ich die leicht bis gar nicht bekleideten Mädchen auf den Fotos sah, war ich mir sogar sicher, dass sie es nicht war. Die Dame musste mir den falschen Umschlag gegeben haben. Ich sah noch mal im Umschlag nach und fand einen Zettel mit der Aufschrift NEIN, DAS IST SCHON DER RICHTIGE UMSCHLAG, DU DUMMBEUTEL. Ich drehte den Zettel, um etwas Verwertbares zu finden, und entdeckte Folgendes: "Kneipe 'Magna Tensor'. Am Hafen 23. Morgen, 18:15. Nach Ginn Ornt fragen." Das war schon eher, was ich erwartet hatte.
Es war meine Aufgabe, solche Informationen zu überbringen. Nachdem ich den Umschlag übergeben hatte, begab ich mich sofort zum Hafen, wie mein Auftraggeber gesagt hatte. Er wartete schon. "Haben Sie die Informationen überbracht?", fragte er, und ich antwortete: "Er hat die Fotos, er hat den Ort, er hat die Zeit, er hat den Namen. Für alles Weitere sind Sie selbst verantwortlich. Haben Sie mein Geld dabei?" Er reichte mir ein Bündel mit Geldscheinen. Hastig zählte ich nach, die Summe schien aber zu stimmen. Ich verabschiedete mich mit dem obligatorischen "Sie wissen ja, wo Sie mich finden können" und machte mich auf den Weg nach hause.
Das Magna Tensor war eine dieser schäbigen Hafenkneipen, die es wohl überall auf der Welt gibt, ganz gleich, wo man sich befindet. In diesem Falle war der Besitzer ein alter Grieche, der sich jedoch beharrlich weigerte, Auskunft darüber zu geben, warum er einen lateinischen Namen für seine Kneipe gewählt hatte und nicht einen griechischen. Ich betrat die Kneipe pünktlich um 18:10, zehn Minuten vor dem Zeitpunkt, der mir angegeben worden war. An der Bar nahm ich platz und bestellte ein Bier. Als der Barkeeper mit dem Zapfen fertig war, fragte ich, ob er einen Ginn Ornt kannte. "Ja", antwortete er, "das ist so ein alter Seemann aus Deutschland. Er kommt alle paar Tage 'mal vorbei, trinkt ein paar Bier und geht dann wieder. Nur manchmal trifft er sich mit merkwürdigen Leuten und redet dann die ganze Nacht mit ihnen. Ich kenne seinen Namen auch nur, weil ich... manchmal zufällig mithöre. Ein komischer Kerl, aber harmlos. Anders als andere Seeleute. Ich hatte noch nie Probleme mit ihm." Ich dankte für die Auskunft, zahlte und ging auf Ginn Ornts Tisch zu.
"Verzeihung, man sagte mir, Sie seien Ginn Ornt?" Der Seemann nickte und wies den Anderen an, sich zu setzen. Dieser legte seinen Mantel ab, nahm platz und begann das Gespräch. "Guten Tag, mein Name ist *****. Ich weiß aus glaubhafter Quelle, dass Sie gewisse Informationen besitzen." "Schon möglich", antwortete Ginn, "schon möglich, dass Ihre Quellen glaubhaft sind und ich die Informationen habe, die Sie suchen. Was möchten Sie wissen?" Dem Anderen wurde bei diesem plötzlich eingeworfenen Zweifel an seinen Quellen ein wenig unbehaglich. "Was wissen Sie über Morde an Hühnern", fragte er. Ginn Ornt überlegte einen Moment, bevor er antwortete. "Mehr, als Sie zu diesem Zeitpunkt wissen müssen, auf jeden Fall aber mehr, als ich Ihnen sagen kann." "Was soll der Unsinn", empörte sich der Andere. "Verzeihen Sie", sagte Ornt, "ich wollte nur, dass Ihnen die Fronten klar sind. Ich kann Ihnen nur zwei Dinge sagen. Erstens: Diese Angelegenheit zieht viel weitere Kreise als Sie glauben. Sie wären gut beraten, sich aus dieser Sache herauszuhalten." Ornt stoppte und eine lange Pause setzte ein. "Und was ist das zweite?", fragte schließlich der Andere. "Ich sehe, Sie sind hartnäckig. Meine Hoffnungen, Sie würden sich entscheiden, sich aus dieser Angelegenheit herauszuhalten, werden wohl ohnehin enttäuscht. Nun gut, das Zweite, was ich Ihnen geben kann, ist ein Ort und eine Zeit. Nur zwei Ecken weiter steht ein altes, verfallenes Lagerhaus. Morgen, 23 Minuten nach dem Beginn des Tages." "Sie meinen 0:23?", fragte der Andere. "Genau das habe ich eben gesagt.", antwortete Ornt und stand auf. "Ich denke, als Lohn für diese Information wird es ausreichen, wenn Sie mein Bier bezahlen." Ohne ein weiteres Wort verließ er die Kneipe.
Es war an eben diesem Tag, um etwa 17:45, dass ich von einem langen Spaziergang durch New Yorks Straßen zu meinem Hotelzimmer zurückkehrte. Ich hatte eigentlich vor, anzufangen, mich mit einem der Bücher zu beschäftigen, als ich bemerkte, wie mein Zimmernachbar in großer Hast sein Zimmer verließ. Aus irgendeinem Grund beschloss ich, ihm zu folgen. Nach einiger Zeit erreichte er eine Kneipe am Hafen, das Magna Tensor, und betrat sie. Obwohl mir nicht wohl dabei war, folgte ich ihm. Ich beobachtete, wie er kurz mit dem Besitzer sprach und dann am Tisch eines Seemanns Platz nahm und mit diesem eine Unterhaltung begann. Ich wählte einen Tisch, nahe genug, um zumindest ein paar Wortfetzen hören zu können, und bestellte ein Bier. Viel konnte ich von ihrem Gespräch nicht verstehen, aber es schien um diesen Hühnchen-Fall zu gehen. Ich hörte den Seemann sagen, der Andere solle heute Nacht irgendwohin kommen, aber mehr verstand ich nicht. Der Seemann verließ recht bald die Kneipe, und als der Andere ebenfalls aufstand, folgte ich ihm zum Hotel zurück.
Meine Neugier war geweckt. Als ich bemerkte, dass mein Zimmernachbar kurz vor zwölf nachts sein Zimmer verließ, war ich bereits fertig angezogen und bereit, ihm zu folgen. Zuerst dachte ich, er ginge wieder zum Magna Tensor, doch bog er kurz vorher ab und betrat eine Lagerhalle. Es musste so 0:15 gewesen sein. Innen bemerkte ich, dass er sich bewegte, als wolle er sich verborgen halten, und so tat ich es ihm gleich. Nun, ich wollte mich in der Tat verbergen - vor ihm. Aber er wusste doch nicht, dass ich da war, oder auf wen wartete er?
Ich weiß nicht, wie lange wir warteten, aber es kann nicht lange gewesen sein. Schließlich betraten dreizehn Gestalten in Kutten die Halle. Zwei schritten nach vorne und nannten nacheinander eine Reihe komplizierter Namen und Titel, die ich mir nicht merken konnte. Ein Dritter, klein und zierlich von Statur, vielleicht eine Frau, baute eine Art Ofen auf, brachte etwas Kohle zum Glühen und warf eine Hand voll Kräuter auf die Kohle. Sofort war die ganze Halle von einem undurchdringlichen Nebel verschiedenster Substanzen und Gerüche erfüllt. Ich konnte nur Marihuana zweifelsfrei als einen der Bestandteile identifizieren, war mir aber sicher, dass das nicht die einzige psychoaktive Substanz war.
Was dann passierte, war ganz grausam: Als der Dampf sich ein wenig gelegt hatte, sah ich eine Vorrichtung, an der ein Huhn kopfüber hing. Die Kultisten, die sich in meinen Augen, wohl unter dem Einfluss der Drogen, in furchtbare Wesen verwandelt hatten, begannen, schreckliche Namen in scheinbar unterschiedlichen Sprachen und Dialekten anzurufen. Grausame Bilder von Straßenschlachten, Vernichtungskommandos, die plündernd durch die Straßen zogen, Männern mit Keulen, Schwerter, Speeren, Kanonen und ausgeblutete Hühnerkörper zogen an meinem geistigen Auge vorbei. Und über allem schwebte ein fürchterliches, dunkles und boshaftes Auge, durchdringend und von einem Dreieck aus brennendem, feurigem Licht umhüllt. Dann war da nur noch Dunkelheit.
Die beiden Beamten betraten den Ort des Geschehens. Ein subtiler Duft verbrannter pflanzlicher Substanzen lag noch immer in der Luft. Wie beim letzten Mal hing auch hier das Opfer des Verbrechens immer noch kopfüber, und mit seinem Blut hatte man auf den Boden ein Pentagramm gezeichnet, in dem zwei tote Männer lagen. "Diese armen Kerle", seufzte der Ältere der beiden Ermittler, "Sie waren wohl einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich kann mir nicht denken, dass ihr Tod geplant war." Der Jüngere blickte auf das Bild des Schreckens, das sich ihm darbot. "Wir müssen diesen Bastard, der das getan hat, schnellstens zur Strecke bringen!" Der Andere hatte sich inzwischen dem Ritualofen zugewandt, der immer noch qualmte. "Ich glaube nicht, dass wir es hier mit nur einem Täter zu tun haben." Er schnupperte. "Auf diesem Ofen hier haben sie offenbar irgendwelche Kräuter verbrannt, um sich an den Dämpfen zu berauschen. Das hier war irgendeine Art Ritual. Wir sollten den Ofen ins Labor zur Untersuchung schicken, aber zuerst müssen wir den Tatort fotografisch festhalten. Und die beiden Leichen sollen zur Identifizierung und Feststellung der Todesursache in die Pathologie."
Als ich am nächsten Morgen aufwache, dröhnt mein Schädel wie die Hölle. Was für ein übler Albtraum! Ich sollte meinen Drogenkonsum beschränken. Ich ziehe mich also an und gehe in die Lounge des Hotels, um mir eine Zeitung zu kaufen. Als ich den Artikel des Tages erblicke, trifft mich beinahe der Schlag! WEITERE RITUALMORDE IN NEW YORK! Zwei Männer und ein Huhn tot aufgefunden. Daneben zwei Fotos - von meinem Zimmernachbarn und mir! "Können Sie diese Männer identifizieren", steht darunter. Ich zahle und bedanke mich, dann renne ich sofort zum Polizeirevier. Doch was soll ich ihnen denn sagen? Da kam mir eine Idee. "Guten Tag", spreche ich den Polizisten am Eingang an, "ich habe das Foto meines Zwillingsbruders heute morgen in der Zeitung gesehen. Er soll tot sein, heißt es. Ich möchte ihn sehen." Der Mann blickt mich zweifelnd an, geleitet mich jedoch zu einem der vielen Büros hier. Aus ihm dringen laute Stimmen, ich kann zwei Männerstimmen erkennen, eine junge und eine ältere, die sich wohl streiten. Der Mann vom Eingang klopft an die Tür und die Stimmen ersterben. Schließlich sagt der Ältere: "Herein." Der Mann hält mir die Türe auf und ich trete ein. "Guten Tag, ich bin vielleicht der Zwillingsbruder eines der beiden Toten von heute morgen." Der jüngere der beiden unterbricht mich: "Eines der drei Toten." Der ältere blickt mich verlegen an. "Entschuldigen Sie bitte, meinen Kollegen nimmt diese Sache ein wenig mit. Es ist sein erster Mordfall. Sie wollen sicher die Leiche identifizieren." "Wollen ist das falsche Wort dafür", antworte ich im Tonfall eines Mannes, der um seinen Bruder trauert, "aber ja, ich würde ihn gerne sehen." "Nun, dann begeben wir uns am besten in die Pathologie."
Der ältere Beamte verließ das Büro und die beiden anderen Männer folgten ihm, wobei der junge Intellektuelle von dem anderen Ermittler höchst misstrauisch beäugt wurde. In der Pathologie angekommen baten sie die Ärztin, den Leichnam zur Identifikation hervorzuholen. "Aber natürlich, hier ist er", sagte die Ärztin und öffnete eine der Schubladen. Sie war völlig leer. "Na so was", verwunderte sich die Ärztin, "ich war die ganze Zeit hier Die Todesursache war eine Vergiftung, aber jetzt ist der Leichnam weg. Ich kann mir das nicht erklären." Sie öffnete eine andere Schublade. Sie war ebenfalls leer. "Das gibt es doch nicht!", stöhnte die Ärztin und ließ sich in ihren Sessel sinken. "Ich war den ganzen Morgen hier in diesem Raum. Bevor Sie kamen, habe ich das zweite Ritualopfer untersucht." Das Hühnchen lag noch auf dem Tisch und bot wahrlich keinen appetitlichen Anblick. Der junge Intellektuelle verabschiedete sich, gab seine Adresse und bat um Rückmeldung, wenn der Körper seines "Zwillingsbruders" wieder auftauchen würde - obwohl er sich inzwischen sicher war, dass das nicht geschehen würde. Der Ältere der Beiden rief ihm noch nach, er solle die Stadt nicht verlassen und sich zur Verfügung halten, falls weitere Fragen aufkämen.
Ich betrat die Lounge des Hotels. Was nun? Mein toter Körper war offenbar nebst dem meines Nachbarn verschwunden, obwohl ich selbst mich offenbar eines durchweg lebendigen und gesunden Körpers erfreute, der auch definitiv meiner war. Ich ging in meinen Flur, blieb vor meiner Tür kurz stehen und klopfte schließlich stattdessen bei meinem Nachbarn. Keine Antwort. Ich klopfte erneut. Immer noch nichts. Also begab ich mich wieder in die Lounge und fragte den Portier nach dem Verbleib meines Nachbarn. "Hm, dieser komische Kauz aus Raum V? Der hat heute Morgen in aller Herrgotts Frühe ausgecheckt und ist mit Sack und Pack aufgebrochen." Nun vollständig verwirrt und in konfusen Gedanken verstrickt kehrte ich auf mein Zimmer zurück und schloss vorsichtshalber die Tür hinter mir ab.
Der Ältere saß an seinem Schreibtisch. "Was sagen Sie bis jetzt zu alldem?" "Dieser Kerl kam mir merkwürdig vor", antwortete der Jüngere, der ihm schräg gegenüber saß. "Sein Zwillingsbruder? Glauben Sie das?" Der Ältere lächelte. "Zumindest im Moment gibt es jedenfalls keinen konkreten Grund, etwas Gegenteiliges anzunehmen. Aber ich habe Ihr Misstrauen durchaus bemerkt. Aber darauf wollte ich auch gar nicht heraus. Ich meinte eigentlich die Verbrechen selbst." Der Jüngere überlegte. "Hm, nein. Ich kann mir auf all das keinen wirklichen Reim machen. Warum sollte ein solcher Kult ausgerechnet Hühner als Opfer auswählen? Ich bin aber kein Experte für diese Ritual-Sache." Der Alte zündete sich eine Zigarette an. "Vielleicht sollten wir in der Tat einen Experten konsultieren." Der Jüngere blickte ihn interessiert an. "Einen Experten für Kulte? Wer schwebt Ihnen da vor?" Der Ältere lächelte…
Ich las gerade Zeitung, als ich den Anruf erhielt. Lokalteil, einen Artikel über eine Ritualmordserie an Suppenhühnern. Früher hätte mich ein solcher Fall sicherlich brennend interessiert – zumal Senat und Kongress ja erst vor fünf Jahren den Hühnern volle Menschen- und Bürgerrechte zugesprochen hatten und es sicher Ermittlungen geben würde. Aber ich machte mir nichts vor: Meine Zeit als Profilerin mit Spezialgebiet okkulte Verbrechen war vorbei. Mein Dozentenjob war nicht schlecht, man verdiente ordentlich dabei und es gab sogar Tage, an denen sich die Studenten nicht über mich und mein Fachgebiet lustig machten. Das Telefon unterbrach jäh meine Überlegungen. "Hallo, Rosewood, wer ist da." "Hallo, Barbara." "Wer ist da?" "Nur nichts überstürzen, meine liebe. Das große Finale kommt doch erst 2010." "Wie bitte?" "Beruhigen Sie sich und hören Sie mir zu. Ich bin sicher, Sie haben schon von den Morden an Hühnern gehört, die ganz New York erschüttern. Ja, ich bin mir ganz sicher, Sie wissen, wovon ich rede. Und wenn Sie nicht wollen, dass noch mehr Hühner sterben, dann tun Sie genau das, was ich Ihnen sage." Da wollte sich offenbar einer meiner Studenten einen geschmacklosen Scherz erlauben. "Hören Sie mir noch zu? Bald schon wird ein alter Freund Sie um Hilfe bitten. Wenn Sie nicht wollen, dass noch mehr Blut fließt, dann werden Sie seine Bitte nicht abschlagen. Haben Sie mich verstanden." Das Letzte klang mehr wie eine Feststellung als wie eine Frage. Ich sage nichts. Ein alter Freund? "Sind Sie noch da? Ich möchte wissen, ob Sie verstanden haben, was ich eben gesagt habe." "Wie? Oh, ja natürlich." "Wunderbar. Wenn Sie alles richtig machen, dann werden Sie wieder von mir hören." *klick* Er hat aufgelegt. Sicher nur ein Studentenscherz. Diesmal ein ganz besonders geschmackloser. Es klingelt erneut. "Rosewood?" "Hallo, Barbara, hier ist Phil. Ich hoffe, du bist nicht immer noch sauer auf mich. Du weißt, ich stand sehr unter Druck von oben. Ich weiss, es mag unangebracht scheinen, dich jetzt um professionelle Hilfe zu bitten. Aber ich brauche deine Hilfe. Ich habe da einen Fall, der dich sicher interessiert…"
Ein Zeitungsartikel hängt an der Wand.
Präsident Clinton verleiht Hühnern Staatsbürgerschaft und Bürgerrechte.
1. April 1999
Nachdem in der letzten Märzwoche eine große Zahl von Hühnern auf Las Vegas marschiert war und die Casinos mit der Forderung nach Einlass blockiert hatte, haben Senat und Kongress heute ein von Präsident Clinton vorgeschlagenes Gesetz verabschiedet, das im Land geborenen Hühnern die volle Staatsbürgerschaft und die verfassungsmäßigen Rechte zuspricht. Von Wahlen werden die Hühner allerdings auch weiterhin bis auf weiteres ausgeschlossen, da nach wie vor angenommen wird, dass Hühner aus anatomischen Gründen zum Umgang mit Stempelkarten unfähig sind. Der Sprecher der neu gegründeten Vereinigten Hühnerschaft Amerikas sagte jedoch, dass auch dieses Vorurteil in Bälde abgebaut sein würde.
"Endlich kann ich mich an allen rächen… hrrr… an dem verdammten, stinkenden Hühner-Gesockse! An der verdammten Regierung und ihren Hintermännern, diesen Missgeburten. Hihi… und an… an IHR! Ich werde mich an IHR rächen können! Endlich. Hahahaaaahahahahaha."
Ich rannte durch dunkle Gassen. Voller Panik. Ich sollte tot sein? Wie konnte ich tot sein? Ich war offenkundig sehr lebendig! Das war zu viel Verwirrung für mich! Ornt hatte Recht gehabt, ich hätte mich nie darauf einlassen sollen. Immer noch hatte ich die Zeitung n der einen und die Koffer in der anderen Hand. Wer war nur der andere Typ neben mir auf dem Foto? Irgendwoher kannte ich ihn. Keine Zeit, mir Gedanken darüber zu machen. Einfach nur laufen. Bis ich mich beruhigt haben würde. Aber ich beruhigte mich nicht. Überall, wo ich hinkam, schien es mir, als würde ich von Augen und Blicken furchtbarer Dämonen verfolgt. Die Ereignisse der letzten acht Stunden folgten mir wie ein Schatten. Ich rannte. Ich rannte. Immer weiter, weiter, weiter…
"Dreimal die Hacken zusammenschlagen und schon bin ich wieder in Kansas."
, wogende Weizenfelder. Der blaue Horizont. Der Geruch von frisch geerntetem Korn. Ich fahre auf meinen kleinen Hof zu. Schließlich halte ich an und steige aus. Der Kater liegt wie immer vor der Wohnungstür und schläft. Ich schließe auf und spüre wieder dieses wohlige Gefühl von Heimat. Tief atme ich ein. Ich presse mir eine Orange aus und genieße den Geschmack von frisch gepresstem Orangensaft. Dann verlasse ich das Haus und wende mich den Ställen zu. Die drei Kühe stehen in ihrem Stall und sehen wohlgenährt aus. Auch die Schweine scheinen sich sauwohl zu fühlen. Schließlich wende ich mich dem Hühnerstall zu.
AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH!
Ich kam eigentlich nur zufällig an dem Geschäft des Autohändlers vorbei, als lautstarkes Geschimpfe meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Aus irgendeinem Grund näherte ich mich der Szene und sah, wie der Händler sich energisch mit einem anderen Mann stritt. Da ich den Händler flüchtig kannte, ging ich auf die beiden zu und fragte, was denn los sei. "Dieser Mann ist verrückt", antwortete der Händler. "Er hat eine Testfahrt mit einem meiner Wagen gemacht und nun nennt er mich einen Betrüger, weil sich das Ding nicht in einen Spinnenroboter verwandeln kann." Der Andere unterbrach ihn. "Aha! Sie geben also selbst zu, dass Ihre Autos nicht das leisten, was die Werbung verspricht!" Ich blicke ihn schräg an, er gerät erneut in Zorn. "Was denn? Wollen Sie etwa sagen, das Fernsehen belügt uns?"
…scheint mir afrikanisch zu sein. Diese Art der Opferung von Geflügel findet sich insbesondere im südlichen Teil des Kontinents." Der Doc runzelte die Stirn und ich bat ihn, weiter zu sprechen. "Wie auch immer", fuhr er fort, "die Namen, die angerufen wurden, stammen aus den unterschiedlichsten Kulturen. Diese hier sind griechisch. Pan ist der Hirtengott der Griechen, Eris hingegen die Göttin der Zwietracht und des Streits. Diese Namen hingegen sind ägyptisch, und es gibt hier sogar einige indischen und chinesischen Namen." Der Doc rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her, als sei ihm unbehaglich bei all dem. "Da hat sich jemand einen ganz hübschen Multi-Kulti-Mix zusammengebaut bei diesem Ritual. Eigentlich ist das hier, so wie Sie es beschrieben haben, eher Kunst als Kult. Man schneidet sich Elemente aus unterschiedlichen Kulten heraus und baut daraus sein eigenes kleines Kunstwerk mit kultisch-religiösem Touch." "Ja", antwortete ich mit zynischem Unterton, "und dann schneidet man dem Huhn die Kehle durch. Was ich jedoch viel interessanter finde, ist die Frage, wie die Leute bei diesem Drogennebel überhaupt ein so komplexes Ritual durchführen und ein Huhn fachgerecht ausbluten lassen konnten. Ich jedenfalls war aufgrund des Nebels und der ganzen Halluzinationen völlig handlungsunfähig." "Da dürfen Sie mich nicht fragen", antwortete der Doc, "ich bin Experte für Kulte, nicht für Drogen oder Metzgerei. So, das wäre alles, was ich Ihnen zu dem Ritual, so wie Sie es mir beschrieben haben, sagen kann. Es tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht mehr helfen konnte. Auf Wiedersehen." Ich stutzte. Wollte der Typ mich loswerden? "Auf Wiedersehen, Doc."
Der Ältere betrachtete die Karte mit den Pins. "Hier in Ihrer Wohnung wurde das erste Opfer gefunden. Dort, am Hafen, die anderen drei. Wie auch immer, die beiden menschlichen Leichen sind jetzt fort. Das Hotel, in dem die beiden eingecheckt waren, liegt hier." Er heftete einen grünen Pin auf die Karte. "Auf einer geraden Linie zwischen Tatort 1 und Tatort 2. Glauben Sie an Zufälle?" "Ich verstehe das alles nicht", antwortete der Jüngere. "Beim ersten Mord sah alles nach einem Einzeltäter aus. In meinem Haus war garantiert nicht mehr als eine Person zu Gange. Und am zweiten Tatort finden wir dann die Überreste dieser…" Er schluckte. "Dieser Drogen- und Blutorgie. Und dann die beiden verschwundenen Leichen. Das macht alles keinen Sinn. Sind Sie sicher, dass es zwischen den beiden Fällen eine Verbindung gibt?" "Absolut", antwortete der Ältere. "Die Durchführung, die Methode, die Symbolik… alles deutet auf eine Verbindung. Meine Expertin wird das noch mal bestätigen, wenn sie hier eintrifft." Das Telefon unterbrach seine Ausführungen. "Ja, Morddezernat NY? Was? Ja, wir sind sofort unterwegs." "Was ist denn los?", wollte der Jüngere wissen. "Es gibt ein weiteres Opfer."
Gorgo.doc
Der Zug hatte an Fahrt gewonnen. Die dunklen Flecken auf den Fenstern formten sich zu grotesken Mustern, wie eines Fötus mit aufgeplatzter Schädeldecke, oder vielleicht auch einer dieser Roswell-Leichen. Eine Zeitlang blickte er durch diese Groteske hindurch aus dem Fenster, als der Zug durch die einst dichten, undurchdringlichen deutschen Wälder raste, die Straßen und Bahnstrecken nun wie ein pulsierendes Netz aus Kraftlinien durchzogen. Er sah sich im Abteil um. Ihm gegenüber sah er eine Frau, blond, vielleicht Mitte Dreißig. Aus dem Augenwinkel schien sie weder auffällig hübsch noch auffällig hässlich zu sein. Doch war er unfähig, sie direkt zu betrachten. Wann immer er den Blick auf sie richtete, schien es, als würde er an ihr vorbei gleiten. Nur mit großer Gewalt konnte er den Blick auf ihr Gesicht fixieren, seine Konturen erkennen. Je länger er brauchte, je mehr er sah, desto schwerer fiel es ihm, und schließlich wandte er den Blick wieder ab, bald hierhin, bald dorthin. Bemerkte andere Leute, leere Sitze, weitere Verunreinigungen an Boden und Fenstern...
...wandte sich um, und blickte direkt in die starr glotzenden Augen der Gorgo.