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Fnordic Walking

Fnordic Walking ist ein neu-babylonischer Stadtführer mit dem Ziel noch mehr Bedeutung frei zu legen – um das alles zu erklären muss ich ein bisschen weiter ausholen:

Das Wunderbare

Die Surrealisten experimentierten mit einer Vielzahl von Techniken, um das Unbewußte zu studieren – dieses Forschungsgebiet reichte von dem Aufführen okkulter Seancen über Automatisches Schreiben bis hin zum Gebrauch von Meskalin. Es war in genau diesem enthusiastischen Forscherwahn, dass die Gruppe um André Breton begann, sich an dem Spiel „Der komische Kadaver“ zu erfreuen. Dieses Kinderspiel ist auch heute noch beliebt und wahrscheinlich jedermann bekannt – nach gängigen grammatikalischen Regeln schreibt jeder Spielteilnehmer ein Wort auf ein herumgehendes Blatt Papier (für sich genommen schon ein sehr surreales Bild), wodurch dann Sätze oder ganze Geschichten entstehen, die der Kreativität und Assoziation ALLER Teilnehmer entspringen. Sie weiteten das Konzept auf die Malerei aus bis sie schließlich im Leben selbst angelangten – es ist möglich den Alltag wie das Spiel des komischen Kadavers zu erleben und aktiv an der Beeinflussung von Geschehnissen mitzuwirken. Bei erfolgreicher Operation mündet die Erfahrung unumgänglich im Wunderbaren. Das alles formulierten sie etwa zur selben Zeit wie in einem Nachruf auf Richard Wilhelm aus der Züricher Zeitung das erste Mal das Wort „Synchronizität“ auftaucht. Etwa 25 Jahre zuvor leistete Crowley den Eid des Magister Templi (im Orden des S∴S∴), der besagt, dass „der Adept jedes Phänomen als besondere Beschäftigung Gottes mit seiner Seele interpretiert“ Die Experimente der Surrealisten wurden bald darauf notorisch. So kam es in Bretons Leben zu einer Reihe von seltsamen Synchronizitäten, doch er missverstand sie, da er sich auf Kausaltheorien von Friedrich Engels stützte. Durch die Dämmerzustände, die sie erlebten; die Geisteskrankheiten, in die sie sich freiwillig begaben; die okkulten Seancen, die sie veranstalten, schlug das Unbewusste ihnen auch immer häufiger im Alltag in Form von unkontrollierbaren Halluzinationen entgegen. Dennoch erlebten sie ihr Dasein als ständiges ‚Aufmerksam sein‘, in Erwartung des Wunderbaren das ihnen an jeder Straßenecke begegnen konnte. Nichts anderes ist das Konzept der konstruierten Situationen, eine ständige Lauer, einschließlich der Techniken, die jede Rückkehr unmöglich machen.

Psychogeographie

Die Psychogeographie war eine Methode der Situationistischen Internationale, mit dem Ziel sich der dynamischen Interaktion zwischen Subjekt und Umwelt bewußt zu werden. Die Möglichkeiten waren vielfältig - Obdachlosigkeit, Sauftouren, Psychedelika, Festivals, Aufstände und Ausschreitungen boten genug Bezugspunkte, um das Wunderbare erfahren zu müssen, Vaneigem nannte das die revolution of everyday life, verwirklichte Begierden, leidenschaftliche Serien der konstruierten Momente, eine Amour Fou. Sobald man seine eigene Begierde erkennt, und eine Situation schafft, die eine Verwirklichung dieser Begierde ermöglicht, begünstigt oder sonst wie fördert, ist man der Kybernetiker der Leidenschaft – ein Bordellbesuch, kollektives Besaufen, das Aufsuchen einer Tanzhalle, all die ungeahnten Sehnsüchte warten darauf erfüllt zu werden. Die einzige wirklich wichtige Frage lautet, was sind meine wahren Begierden? – und genau hier kommt wieder Breton ins Spiel. Nichts anderes sollten seiner Theorie zufolge, die konstruierten Automatismen offenbaren. Bezogen auf unsere Hypothese, dass die Erwartung des Wunderbaren, die Erfüllung des Wunderbaren bedeutet, wäre eine erkannte Begierde nur in der Auslieferung an sie real, oder mit anderen Worten: erst wenn die Begierde erfüllt wurde, kann ich sicher sein, dass sie tatsächlich eine war. Die Begierde erscheint erstmal als Obsession im Zuge der agrartechnologischen Revolution, geht dann ihren Weg über die Industrie, um schließlich bei der Werbung zu landen, die uns ihre Schein-Begierden aufoktroyieren will. Umso wichtiger zwischen tatsächlicher Begierde und konstruierter Begierde zu unterscheiden, ebenso wie die tatsächliche Situation (der Zufall oder Unfall) und die konstruierte Situation (als Erfüllung der tatsächlichen Begierde). Raoul Vaneigem spottete der falschen Pfaffenlist medialer Verschwörer, wie die Werbung eine ist. Freizeit ist nur im Sinne von Arbeit möglich und kommt dabei einer Sub-Arbeit oder Überstunden gleich, Leben im Verzicht auf das, was man liebt. Hierin begründet sich auch die vehemente Surrealismus-Kritik, denn der Surrealist arbeitet hart an seiner Erkenntnis, während Dada sich in Genüssen suhlt. Breton selbst behauptete, die Welt ende mit einer hübschen Reklame. Er feuerte all jene, die l’art pour l’art produzierten oder gar ihre Werke zum Verkauf ausstellten, alles wurde durch das unsichtbare Banner des Unbewussten diktiert. Nur um kurz anzudeuten, dass der Surrealismus so seine zahlreichen Schattenseiten hat. Eine andere Technik der SI war das derrive, Umherschweifen. Unitärer Urbanismus schafft sich selbst die Präsenz des Wunderbaren, während die Anderen (wie Sartres obsoleter Terminus lautet) eine ungeahnte Unheimlichkeit in Anbetracht der Dinge, die ihn psychologisch beeinflussen, beängstigen, verspüren, doch der Situationist versucht die Beeinflussung auszunutzen, sich anzueignen, um daraus eine psychogeographische Wundertüte zu erbauen. Für diese Erwartung des Wunderbaren in jeder Handlung habe ich den Terminus „Metanoia“ gezirbelt, der genau auf eine solche Geisteshaltung abzielt, die in etwa an der Schnittstelle zwischen Genie und Wahn liegt.

Fnordic-Walking

Die diskordische Leibesübung „Fnordic Walking“ sieht sich in der Tradition der magischen Praxis, der situationistischen Architektur-Kunst, der dadaistischen Autopoesie, der analytischen Psychologie und einem ganzen Haufen anderer wirre Theorien. Dennoch unterschiedet es sich auf die ihm eigene Weise von allen anderen Prinzipien. Denn Fnordic Walking zieht auf die Freilegung von Bedeutung durch Verwirrung ab – diametral zu den noblen Ziel der Entfaltung des Wunderbaren, Konstruktion der Situation oderwieauchimmer, liegt ein wichtiger Bezugspunkt auch in einer formulierten Kritik des natürlichen Zustands des Konzeptes Stadt – mit all der Leuchtreklame, den schönen Menschen, den lauten Hupen usw. Diese Fnords erkennt der Diskordier und sie stellt er bloß – die Techniken, die ihm dafür zur Verfügung stehen wurden bereits an anderer Stelle unter dem Namen „Operation: Mindfuck“ zusammengetragen; ferner natürlich auch in den Aktivitäten der Culture Jammer und Adbusters. Ich definiere es also jetzt klipp und klar zum ersten und letzten Mal:

FNORDIC WALKING (Substantiv, n.) ist die metanoide Praxis des Umherschweifens im urbanen Raum, um das Wunderbare zu erfahren, die Fnords zu erkennen und nebenbei in wirklich zenbuddhistischer Manier „einfach so spazieren zu gehen“.