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Re: permanente revolution - schöpferische Zerstörung

Verfasst: 23. November 2015, 21:21
von Tarvoc
fehlgeleitet hat geschrieben:
Interessanter ist, welche gesellschaftlichen Interessen sich in dieser ideologischen Falschheit artikulieren - und das sind nunmal größtenteils die Interessen des Kleineigentums.
wäre schön wenn du das genauer ausführst.
Sorry, ich zäume das Pferd manchmal gerne von hinten auf. So wie ich das verstehe, soll unter "schaffendem" Kapital solches Kapital zu verstehen sein, das unmittelbar an der Produktion beteiligt ist, also mit anderen Worten Produktionsmittel (Industrie, Fabriken, etc.), während unter "raffendem" Kapital solches zu verstehen ist, das als Finanzkapital vorliegt und zu Investitionen verwendet wird. Die Unterscheidung läuft ja meistens so, dass "raffendes" Kapital Zinsen abwirft und "schaffendes" Kapital nicht. Dabei wird aber übersehen, dass Industriekapital immer auch finanzielle Form hat und umgekehrt Finanzkapital gerade dadurch Investitionen ermöglicht, dass es in der Lage ist, Industriekapital heranzuschaffen. Der Witz ist gerade, dass die beiden Formen beliebig austauschbar sind. Zins ist keine geheimnisvolle Art der Geldvermehrung, sondern einfach nur die Gestalt, die die ohnehin stattfindende Abschöpfung des produzierten Mehrwerts annimmt, sobald man vom reinen Industriekapital zum Finanz- oder Handelskapital übergeht. Auf theoretischer Ebene versagt die Unterscheidung zwischen "schaffendem" und "raffendem" Kapital ganz grundsätzlich. Es findet sich überhaupt kein Unterschied zwischen beiden.

Dem lokalen Kleineigentümer, der vermutlich nur eine kleine Menge an Industriekapital besitzt, ermöglicht es aber, seine eigenen Interessen gegenüber dem großen Kapital politisch zu artikulieren, ohne grundsätzlich Kapitalismuskritik betreiben zu können. Ebenso wird es damit möglich, lokale oder nationalistische Ideologien zu formulieren, mit denen sich der Kampf gegen die bestehenden Verhältnisse in einen Kampf gegen Großeigentümer und internationales Kapital umformulieren lässt. Meistens geht damit dann auch die Aussonderung von Minderheiten einher, an denen sich das Kleineigentum gesund plündern kann.

Re: permanente revolution - schöpferische Zerstörung

Verfasst: 23. November 2015, 21:25
von KÆoS
fehlgeleitet hat geschrieben:aber ich denke es ist anzunehmen, wenn sogenannte kapitalisten sehr lange durststrecken und risiken auf sich nehmen um bestimmte grundlagenforschung durchzuführen, dass es ihnen um mehr gehen könnte als bloß eine dicke villa + auto.

dies war bei silicon valley eben der fall.
Stimmt! Koks ist Teuer!
fehlgeleitet hat geschrieben:
Interessanter ist, welche gesellschaftlichen Interessen sich in dieser ideologischen Falschheit artikulieren - und das sind nunmal größtenteils die Interessen des Kleineigentums.
wäre schön wenn du das genauer ausführst.
Für 'genauer' ist Tavoc zuständig. Von mir kriegst Du erstmal Allgemeiner:

In jedem Ramschladen findest Du ein Buch. In diesem steht was von einem heiligen Land zwischen den Flüssen von Milch und Honig. Den Kleineigendeppen geht's dabei um Selbiges, wie den Großeigendeppen: Das der Honigfluss an ihrem Grundstück vorbeifliesst. Einig sind sich Beide nur bei Einem: Der Milchfluss gehört ab der Mündung gedämmt! Dann kaufen die Plebs mehr Honig. (Grundfalsch, denn womit sollten die Plebs dann Handel treiben, aber ...)

Edith sagt: 'Da war der Tarvoc aber Schneller!' :rofl:

Re: permanente revolution - schöpferische Zerstörung

Verfasst: 23. November 2015, 21:40
von Tarvoc
:atomrofl:

Re: permanente revolution - schöpferische Zerstörung

Verfasst: 23. November 2015, 21:48
von fehlgeleitet
Tarvoc hat geschrieben:
fehlgeleitet hat geschrieben:
Interessanter ist, welche gesellschaftlichen Interessen sich in dieser ideologischen Falschheit artikulieren - und das sind nunmal größtenteils die Interessen des Kleineigentums.
wäre schön wenn du das genauer ausführst.
Sorry, ich zäume das Pferd manchmal gerne von hinten auf. So wie ich das verstehe, soll unter "schaffendem" Kapital solches Kapital zu verstehen sein, das unmittelbar an der Produktion beteiligt ist, also mit anderen Worten Produktionsmittel (Industrie, Fabriken, etc.), während unter "raffendem" Kapital solches zu verstehen ist, das als Finanzkapital vorliegt und zu Investitionen verwendet wird. Die Unterscheidung läuft ja meistens so, dass "raffendes" Kapital Zinsen abwirft und "schaffendes" Kapital nicht. Dabei wird aber übersehen, dass Industriekapital immer auch finanzielle Form hat und umgekehrt Finanzkapital gerade dadurch Investitionen ermöglicht, dass es in der Lage ist, Industriekapital heranzuschaffen. Der Witz ist gerade, dass die beiden Formen beliebig austauschbar sind. Zins ist keine geheimnisvolle Art der Geldvermehrung, sondern einfach nur die Gestalt, die die ohnehin stattfindende Abschöpfung des produzierten Mehrwerts annimmt, sobald man vom reinen Industriekapital zum Finanz- oder Handelskapital übergeht. Auf theoretischer Ebene versagt die Unterscheidung zwischen "schaffendem" und "raffendem" Kapital ganz grundsätzlich. Es findet sich überhaupt kein Unterschied zwischen beiden.

Dem lokalen Kleineigentümer, der vermutlich nur eine kleine Menge an Industriekapital besitzt, ermöglicht es aber, seine eigenen Interessen gegenüber dem großen Kapital politisch zu artikulieren, ohne grundsätzlich Kapitalismuskritik betreiben zu können. Ebenso wird es damit möglich, lokale oder nationalistische Ideologien zu formulieren, mit denen sich der Kampf gegen die bestehenden Verhältnisse in einen Kampf gegen Großeigentümer und internationales Kapital umformulieren lässt. Meistens geht damit dann auch die Aussonderung von Minderheiten einher, an denen sich das Kleineigentum gesund plündern kann.
danke erstmal für deine explizite ausführung, dass hätte ich selbst nicht gekonnt.

es liegt aber vielleicht ein missverständniss vor:
es ging mir in meinem beitrag keinesfalls darum, dieses von dir als falsch erkannte Modell von "raffendem" und "schaffenden" zu restaurieren.

mir fiel bloß auf, dass wenn versucht wird den (guten) entrepreneur vom (bösen) Manager abzugrenzen, ein sehr verwandtes Denkmuster vorliegt.

Ich denke es lohnt sich zu untersuchen, inwiefern eben nicht nur Mehrwert sondern auch Innovation für den Kapitalismus notwendig ist und was Innovation eigentlich bedeutet.

Re: permanente revolution - schöpferische Zerstörung

Verfasst: 23. November 2015, 22:12
von KÆoS
fehlgeleitet hat geschrieben:mir fiel bloß auf, dass wenn versucht wird den (guten) entrepreneur vom (bösen) Manager abzugrenzen, ein sehr verwandtes Denkmuster vorliegt.
Dafür gibt es einen Ausdruck: Politik der geschlossenen Faust.
fehlgeleitet hat geschrieben:Ich denke es lohnt sich zu untersuchen, inwiefern eben nicht nur Mehrwert sondern auch Innovation für den Kapitalismus notwendig ist und was Innovation eigentlich bedeutet.
-> Aufbruch und Ablösung ausgedienter Monopole.

Noch weitere Fragen?

:alk:

Re: permanente revolution - schöpferische Zerstörung

Verfasst: 23. November 2015, 22:25
von fehlgeleitet
ja eben das ist die these der "schöpferischen zerstörung".

da sie aber nun schon hundert jahre alt ist und weiterhin für aktuell gehalten wird, bin ich eben neugierig geworden :D

Re: permanente revolution - schöpferische Zerstörung

Verfasst: 23. November 2015, 22:31
von KÆoS
Nein, ist sie [edit: Die These] nicht! Sie [edit: Die "schöpferischen zerstörung"] ist der Versuch, des Kaisers alte Kleider zu Verbrennen, damit die neuen Kleider Herrlicher erscheinen.

Du solltest die Texte, die Du zitierst, mal Aufmerksamer lesen ... :facepicard:

Re: permanente revolution - schöpferische Zerstörung

Verfasst: 24. November 2015, 00:32
von Tarvoc
fehlgeleitet hat geschrieben:mir fiel bloß auf, dass wenn versucht wird den (guten) entrepreneur vom (bösen) Manager abzugrenzen, ein sehr verwandtes Denkmuster vorliegt.
Naja - in einem Falle wird zwischen "guten" und "bösen" Kapitalisten unterschieden, im anderen zwischen "gutem" und "bösem" Kapital. Verwandt sind die Denkmuster insofern, als in beiden Fällen versucht wird, einen "reinen" Kapitalismus zu isolieren, der dann "gut" sein soll und der von seinen "bösen" "Verzerrungen" zu reinigen sei. Die Unterscheidung zwischen Entrepreneur und Manager ist in gewisser Hinsicht sogar noch dümmer, allerdings auch ehrlicher, weil sie gar nicht erst versucht, auch nur den Anschein zu erwecken, eine ökonomische Unterscheidung zu sein, sondern sich von Anfang an als moralisch-psychologische Unterscheidung präsentiert.

Die korrekte Unterscheidung zwischen Entrepreneur und Manager ist natürlich eine historische. Der Entrepreneur ist eine Gestalt des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, der Manager (bis jetzt) eine des 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Da sowohl die gesellschaftlichen Aufgaben als auch die gesellschaftliche Stellung verschieden sind, ändert sich natürlich auch die entsprechenden Weisen der Tätigkeit. Das ist aber nicht das Resultat unterschiedlicher Mentalitäten, sondern vielmehr ihre gesellschaftliche Ursache. Der Entrepreneur und der Manager sind keine anthropologischen oder psychologischen "Typen", sondern unterschiedliche soziale Funktionen.
fehlgeleitet hat geschrieben:Ich denke es lohnt sich zu untersuchen, inwiefern eben nicht nur Mehrwert sondern auch Innovation für den Kapitalismus notwendig ist und was Innovation eigentlich bedeutet.
Der Wert einer Ware bestimmt sich aus der zu ihrer Produktion nötigen gesellschaftlichen Durchschnittsarbeitszeit. Der einzelne Kapitalist wird also immer versuchen, gleichzeitig die für das einzelne Produkt nötige Arbeitszeit in seinen eigenen Betrieben zu verringern und die nötige gesellschaftliche Durchschnittsarbeitszeit insgesamt auf gleichem Niveau zu halten oder sogar zu erhöhen (wobei letzteres eher schwierig ist und nur selten vorkommt). Es stimmt also nicht ganz, dass der Kapitalismus auf die Beschleunigung von Arbeitsprozessen zielt. Jeder einzelne Kapitalist versucht vielmehr, Technologie zu entwickeln und zu implementieren, die die Arbeitszeit in den eigenen Betrieben verringert, aber gleichzeitig diese Technologie allen Konkurrenten vorzuenthalten. Kapitalismus fördert also die Entwicklung neuer Technologien, bremst aber ihre Verbreitung. Selbstverständlich wird die Sache durch Institutionen geistigen Eigentums (Patente, Urheberrecht, etc.) und Firmen, die gezielt mit diesen Dingen handeln, nochmal ein ganzes Stück komplizierter, aber für's erste sollte das reichen.

Re: permanente revolution - schöpferische Zerstörung

Verfasst: 24. November 2015, 01:33
von Bwana Honolulu
Tarvoc hat geschrieben:
fehlgeleitet hat geschrieben:Kurz gesagt: Der Kapitalismus ist deswegen stabil, weil er sich andauernd selbst infrage stellt.
Der Kapitalismus ist stabil. Ich lach' mich tot. :rofl:
Und außerdem: Wo stellt sich Kapitalismus wirklich infrage? Wenn überhaupt, können Ideen und Bewegungen (Bio, Fairtrade), die Aspekte des Kapitalismus infrage stellen, dem Sog desselben meistens nicht entkommen und werden letztendlich von ihm korrumpiert, manchmal machen sie's sogar eher schlimmer als besser (mit fallen spontan Uber und amazons Mechanical Turk ein).
Der Kapitalismus hat halt eine Tendenz, weitgehend ungebremst weiterzuwachsen und dabei immer konzentriertere Oligopole zu bilden, die aber nicht stabiler werden durch ihre Größe ("Too big to fail"), sondern im Gegenteil sich in immer größere und wackligere Dominosteine verwandeln, die beim Umfallen immer mehr mitreißen können. Und die Beteiligten scheinen auch nichts daraus zu lernen.
Tarvoc hat geschrieben:Das Zufriedenstellen von Kunden mit der allgemeinen Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse zu identifizieren ist bereits eine ideologische Verzerrung.
Das erinnert mich auch an das andauernde Gerede von der "Natur des Menschen", wenn in Wirklichkeit durch pemanentes Leben im konditioniertes Verhalten ist.
fehlgeleitet hat geschrieben:aber ich denke es ist anzunehmen, wenn sogenannte kapitalisten sehr lange durststrecken und risiken auf sich nehmen um bestimmte grundlagenforschung durchzuführen, dass es ihnen um mehr gehen könnte als bloß eine dicke villa + auto.
Ach? Welcher Großkapitalist macht so was denn heutzutage noch? Hör' dir mal deren Geschichten an, die haben völlig den Bezug zur Realität verloren und sind eigentlich nur noch reich, weil sie reich sind -soll heißen, in der Regel in reiche Familien geboren, aufgrund ihres Namens und Rufes reich geworden und aufgrund derselben Eigenschaften nahezu unfähig, ihr Vermögen ernsthaft zu verlieren, weil ihnen quasi alles in den Arsch geschoben wird (es müssen nicht alle diese Eigenschaften zutreffen, aber in der Regel tun sie's). Der einzige bekanntere Fall, der mir einfällt, der dem Bild des klassischen Entrepeneurs heutzutage noch irgendwie nahekommt (von wegen "Gewinne massiv in neue Projekte investieren" und so), ist Elon Musk. Aber der reisst das versumpfte Bild des Kapitalismus jetzt auch nicht mehr raus.
:kp:

Re: permanente revolution - schöpferische Zerstörung

Verfasst: 24. November 2015, 06:22
von fehlgeleitet
danke erstmal für eure kommentare. schön das ihr euch zeit genommen habt meinen text zu lesen.

ich habe diese woche noch viel zu tun, hoffe ich kann wieder irgendwann zeit investieren um auf eure anmerkungen sinnvoll einzugehen. denn dazu müsste ich mein nur latent vorhandenes wissen über die materie vertiefen.