Spiegel Online hat geschrieben:Mysterium Aleister Crowley
Sex, Sex, Sex war seine Nummer
Er gilt als Erfinder des modernen Satanismus, nannte sich selbst "das große Tier 666" und erfand die "Sex Magick". Mit seiner irren Selbstinszenierung inspirierte Aleister Crowley Filmregisseure, Rockstars und Schriftsteller. einestages über den Mythos des Magiers - und seine Jünger in der Popkultur. Von Stefan Beuse und Benjamin Maack
"Der böseste Mann der Welt ist tot!", verkündete die britische Sensationspresse erleichtert, als Aleister Crowley am 1. Dezember 1947 starb. Die Reaktion schien verständlich. Sein ganzes Leben hatte Crowley einer fiebrigen, kompromisslosen Sinnsuche geweiht. Er experimentierte mit magischen Kulten, erfand eine eigene Religion und trieb einige seiner Anhänger mit unheimlichen Ritualen in den Wahnsinn. Crowley wurden Sodomie, Mord und rituelle Vergewaltigungen vorgeworfen. Das Blut von Säuglingen soll er getrunken und einige seiner Frauen auf dem Gewissen haben.
Das Ende kam trotzdem ohne große Hexerei: Seine letzten Jahre verbrachte der Sohn eines erzchristlichen Brauereierben einsam, verarmt und heroinabhängig in einer Pension in der englischen Kleinstadt Hastings. "Das große Tier 666", wie Crowley sich selbst gern nannte, wurde im Alter von 72 Jahren von einer Lungenentzündung dahingerafft. Was blieb, war ein irrlichternder Mythos, der bis heute Musiker, Filmschaffende und Schriftsteller inspiriert.
Marilyn Manson outete sich als Liebhaber seiner Schriften, etliche Death-Metal-Bands schmücken sich mit der düsteren Aura des Mannes, der genau genommen gar nicht an den Satan glaubte. James-Bond-Erfinder Ian Fleming lehnte Le Chiffre, den Bösewicht aus "Casino Royale", an Crowley an. Iron-Maiden-Sänger und Hobby-Okkultist Bruce Dickinson verfasste das Drehbuch zu dem miesen Horrorfilm "Crowley - Back From Hell". Led-Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page war sogar so fasziniert von dem Mythos, dass er eines der Häuser kaufte, in dem Crowley für einige Zeit seine magischen Rituale betrieben hatte und es mit Reliquien seines Idols vollstellte.
Doch obwohl Crowley bis heute Fans und Verehrer auf der ganzen Welt hat, ganz genau weiß keiner, wer der merkwürdige Magier wirklich war. Kaum verwunderlich - denn seine Vita wirkt, als hätte ein übereifriger Biograf gleich mehrere Leben zu einem zusammengeworfen und mit Passagen aus Abenteuer- und Horror-Groschenromanen gewürzt.
So weihte er sich selbst zum Gott
Es gibt viele Geschichten über den Hexenmeister und Geisterbeschwörer Crowley: So mietete er sich in London eine kleine Wohnung und richtete sich dort zwei Räume ein - einen für weiße, einen für schwarze Magie. In einer besonders seltsamen Zeremonie taufte er einen Frosch auf den Namen Jesus von Nazareth, kreuzigte ihn und verspeiste schließlich seine Schenkel. Mit diesem Ritus meinte er nicht nur, das Zeitalter des Christentums beendet zu haben - er weihte sich gleichzeitig selbst zum Gott.
Auch bei der Entstehung seines einflussreichsten Buches, dem "Liber AL vel Legis", soll es nicht ohne Magie zugegangen sein. 1904 brachte er das "Buch der Gesetze" von der Hochzeitsreise mit seiner ersten Frau Rose Edith Kelly aus Kairo mit. Angeblich beeindruckt von einer altägyptischen Stele mit der Inventarnummer 666, rief er in einem magischen Ritual den Gott Horus an, kurze Zeit später will er zum ersten Mal die Stimme des Geistwesens Aiwass gehört haben. In drei Tagen flüsterte ihm dieses das "Liber Legis" ein. Es wurde die Bibel zu Crowleys eigens erfundener Religion Thelema.
Das wichtigste Gebot daraus ist ebenso oft zitiert wie missverstanden worden: „Tu was du willst. Dies sei das ganze Gesetz". Eher als Aufruf, den eigenen Willen zu ergründen, denn als Freibrief zu hemmungslosem Hedonismus hatte Crowley das wohl gemeint. Doch von seinen Gegnern, deren Anzahl über die Jahre exponentiell wuchs, wurde es sogar als Aufruf zum Satanismus gewertet. Crowley selbst hat nie versucht, die zahlreichen Gerüchte über angeblich satanische Intentionen zu dementieren. Im Gegenteil: Er genoss es, die Bestie zu sein, das "große Tier 666".
Mit 17 holte er sich Gonorrhöe
So geistert Crowley heute als Satanist, Magier und das personifizierte Böse durch die düsteren Gefilde der Popkultur - doch wer den menschlichen Kern in der Sagengestalt aufspüren will, tut gut daran, den Hokuspokus beiseite zu lassen.
Edward Alexander Crowley wurde am 12. Oktober 1875 in der englischen Grafschaft Warwickshire geboren. "Ein sonderbarer Zufall", notiert er später, "dass die kleine Grafschaft die zwei größten Dichter Englands hervorbringen sollte - denn man darf Shakespeare nicht vergessen." Seine Eltern waren Mitglieder der streng christlichen Brüderbewegung. Sein Vater war Prediger, jeden Tag lasen der kleine Edward Alexander und seine Mutter nach dem Mittagessen ein Kapitel in der Bibel. Sie nannte ihren Jungen Alick. Er hasste das.
Früh erwachte sein Interesse an Dichtung: In der Schule las er Bücher, die zu Hause verboten waren. Shakespeare, na klar. Oder Swinburne, einen englischen Lyriker, dessen Verse um Sadomasochismus, Todessehnsucht und lesbische Fantasien kreisen. Er vertiefte sich in Werke über Folter und Gewalt und merkte, dass ihn der Gedanke an Todesqualen erregte. Als Alick elf war, starb sein Vater, der Prediger, an Zungenkrebs. Seine Mutter schickte ihn auf ein christliches Internat. Dort entwickelte er eine tiefe Skepsis gegenüber dem Glauben seiner Eltern - er hatte in der heiligen Schrift logische Brüche entdeckt. Zur selben Zeit begann er mit großer Leidenschaft die Abgründe der Sexualität zu erforschen. Mit zwölf flog Alick von einer christlichen Schule, weil er versucht hatte, einen Mitschüler zu verführen. Mit 14 verlor er seine Unschuld, nahm sich regelmäßig Prostituierte, männliche wie weibliche. Mit 17 holte er sich bei einem Straßenvagabunden Gonorrhöe.
Neben seiner Faszination für abwegige Sexualpraktiken, die Crowley sein Leben lang begleiten sollte, gibt es drei weitere Konstanten in seiner Biografie: Eine große Liebe zu großen Worten, ein unverzagter Glaube an das eigene Genie - und das stete Streben nach Weltruhm.
Bergsteigerstar, Schachgenie, Dichterfürst
Mit der Universität begann für Crowley eine Zeit der hitzigen Suche nach einem prominenten Platz in der Menschheitsgeschichte. 1895 schrieb er sich am Trinity College in Cambridge ein. Er nutzte dies als Chance, seinen ungeliebten Spitznamen Alick loszuwerden. Seinen neuen wählte der junge Student, nachdem er gelesen hatte, dass "die besten Namen, um berühmt zu werden, aus einem Daktylus, gefolgt von einem Spondeus bestehen" - also einem Vornamen, in dem zwei kurze Silben auf eine lange folgen und einem Nachnamen, der aus zwei langen Silben besteht: A-lei-ster Crow-ley.
Als was er zum Star wird, schien ihm dabei erstmal egal. Zuerst sollte es Schach sein. Crowley wollte dabei nicht weniger als zu den größten Schachgenies der Welt aufzuschließen. Er trainierte jeden Tag Stunden, schlug den Präsidenten des Clubs noch im ersten Jahr. 1897 dann pilgerte er nach Berlin zu einem der wichtigsten Schachturniere Europas. Er war schockiert: "Ich sah die Meister", erinnert er sich später. Einer "verwahrlost, verschnupft, triefäugig" und auch der Rest nichts als eine "schlappe Parodie der Menschheit". Noch vor Ort schwor er sich, nie wieder eine Partie Schach zu spielen. "Dies sollen die Menschen sein, von denen ich Anerkennung wollte", schrieb er später angewidert und hängte die Profikarriere an den Nagel.
Stattdessen begann er Berggipfel zu bezwingen - und wurde schnell einer der fähigsten Bergsteiger seiner Zeit. Den fast 4000 Meter hohen Eiger erklomm er im Alleingang. 1899 bestieg der von Geburt an schwer asthmakranke Crowley die schwierige rechte Seite des Eisfeldes am Mer de Glace, dem größten Gletscher Frankreichs - eine Route, die nach ihm 50 Jahre lang kein anderer wagen würde. Doch Crowley entpuppte sich auf diesen Touren nicht gerade als Teamplayer. Beim Versuch, den K2 zu besteigen, soll er ohne ersichtlichen Grund einen Begleiter mit der Pistole bedroht haben. Seine Kameraden beschrieben den hochmotivierten Gipfelstürmer als kreativen Kletterer, aber auch als impulsiv, rücksichtslos und überheblich. Bei einer Expedition im Himalaya-Gebirge, bei der Crowley der Führer war, wurden vier Mitstreiter unter einer Schneelawine begraben. Er verzichtete darauf, ihnen zu Hilfe zu kommen - und ruinierte damit seinen Ruf unter den Weltklasse-Bergsteigern.
Nebenbei versuchte er als Schriftsteller zu brillieren. Verschiedene Bibliographien im Netz kommen auf insgesamt 80 Veröffentlichungen. Seine ersten Lyrikbände wollte allerdings kein Verlag haben - also brauchte er sie kurzerhand auf eigene Rechnung in aufwendig gestalteten Kleinstauflagen heraus. Sein Oeuvre umfasste Gedichte, die unter Pornografiefans bescheidenen Absatz fanden, Bücher voller magischer Rituale und einen Skandalroman über das Leben eines Drogensüchtigen. In bester Rockstarmanier brachte er außerdem eine 1000-seitige, unvollendete Autobiografie mit dem reißerischen Titel "The Confessions of Aleister Crowley" heraus. Und er hatte viel zu gestehen.
Die Frauen und Crowleys "Schlangenkuss"
Crowley experimentierte mit Drogen: Opium, Kokain, Morphin, Haschisch, Meskalin, Ether, Chloroform und Heroin. Auf Partys in seiner Heimat protzte er mit Sexabenteuern und provozierte die Londoner High Society mit Forderungen wie "Frauen sollten wie Milch am Hintereingang abgeliefert werden." Damen, die er anziehend fand, begrüßte er mit einem "Schlangenkuss", einem kräftigen Biss in die Hand, für den er sich eigens die Eckzähne angeschärft haben soll. Hauseigentümer begannen sich zwei Mal zu überlegen, ob sie Crowley zu ihren Empfängen einladen sollen. Der Magier auf Drogen stand in dem Ruf, seinen Darm auf die Teppiche seiner Gastgeber zu entleeren.
Trotzdem gelang es dem charismatischen, redegewandten Enfant terrible, genug Jünger für seine selbsterdachte Religion Thelema zu rekrutieren. 1920 zog er mit einigen von ihnen in das Küstendörfchen Cefalù auf Sizilien und gründete dort eine Abtei, in der er sich von seinen Anhängern ein zweites Mal zum Gott weihen ließ. Ansonsten ähnelte das Leben dort wohl eher dem in einer Hippiekommune, denn neben exzessivem Drogenkonsum führte Crowleys Weg der Erleuchtung hauptsächlich über die sogenannte Sex Magick. Bei dieser besonderen Form der Meditation waren die Beteiligten angehalten, sich in bizarren Ritualen selbst zu befriedigen, miteinander zu verkehren und sich zu erniedrigen. In der höchsten Stufe der Erleuchtung spielte Analsex eine entscheidende Rolle.
In den sechziger Jahren fanden sich Crowley-Fans, die sagten, er habe damit sowohl die Lehren vom Drogenpapst Timothy Leary als auch die sexuelle Revolution um ein halbes Jahrhundert vorweggenommen. Okkultisten behaupten bis heute, er hätte so tatsächlich mächtige Götter beschworen. Sektenexperten wiederum warnen, der Scharlatan Crowley habe seine Jünger allein deshalb mit psychischer Manipulation in irre Sex-Zeremonien verwickelt, um die eigenen sadomasochistischen Phantasien zu befriedigen. Ihre Standpunkte zu Crowley hielten dutzende Zeitgenossen, Wissenschaftler, Okkultisten und Satanisten in Essays und Biografien fest. Zusammen mit dem ausufernden Werk Crowleys ist so ein Wall aus Worten entstanden, hinter dem die wahre Biografie des Mannes verschwindet und nur die Legende sichtbar bleibt.
Eine Spur aus Wahnsinn, Verzweiflung und Tod
Ob Crowley tatsächlich an die Wirkung seiner eigenen Rituale glaubte, ist nicht sicher. "Ich will Blasphemie, Mord, Vergewaltigung, Revolution, irgendetwas. Egal, ob gut oder schlecht, nur stark", forderte er einmal in seinem Tagebuch und stellte damit das Programm für sein Leben auf der steten Suche nach neuen Extremen auf. Er versetzte sich in immer neue Rollen, gab sich immer wieder andere Namen, hieß mal Graf Vladimir Svareff, dann Frater Perdurabo oder Laird of Boleskine. Unbestreitbar ist, dass er Extreme suchte und stets seine Grenzen erfahren wollte - um dann darüber hinauszugehen.
Nicht alle seine Weggefährten konnten dabei mithalten: Bevor der Egomane mit dem Wunsch die Welt zu beherrschen selbst das Zeitliche segnete, hinterließ er eine Spur aus Wahnsinn, Verzweiflung und Tod. Dies zeigen besonders die Schicksale der Frauen, die sich von ihm angezogen fühlten: Seine erste Ehefrau verfiel dem Alkohol und wurde schließlich mit schwerer Demenz in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Seine zweite verbrachte gar ihre letzten 30 Lebensjahre in der Psychiatrie. Nummer drei trank sich zu Tode, eine der letzten beging Selbstmord. Er zeugte Kinder, die früh starben oder um die er sich nicht scherte.
"I am closer to the golden dawn
immersed in Crowleys uniform
of imagery",
sang David Bowie ein Viertel Jahrhundert nach Crowleys Tod in seinem Song "Quicksand" und brachte damit die Faszination für den selbsternannten Gott auf den Punkt: Crowley erzeugte durch seinen ebenso manischen wie ungezügelten Lebensstil eine gigantische Menge kraftvoller Bilder und wahnwitziger Symbolik, eine düstere, geheimnisvolle Note, die Künstler gerne in ihrem eigenen Schaffen mitschwingen lassen. In manchen der Biografien über Edward Alexander Crowley stehen noch heute Sätze wie: "Wem es am notwendigen Wissen über Magie und Okkultismus mangelt, der wird Crowley niemals richtig verstehen." Dem "großen Tier 666" hätte das gewiss gefallen.