[Schiff] Der Doppelcharakter der Entfremdung
Verfasst: 6. Juli 2011, 23:32
Tarvoc hat geschrieben:Der Doppelcharakter der Entfremdung des Lohnarbeiters an der Maschine
Eine Überlegung im Anschluss an Dietmar Daths "Maschinenwinter"
Eine marxistische Standardkritik (bzw. ein Aspekt von ihr) an der Entfremdung des (Industrie-)Arbeiters im industriellen Arbeitsprozess lautet ungefähr folgendermaßen:
Der Arbeiter ist ökonomisch gezwungen, an einer Maschine zu arbeiten, die ihm nicht gehört, mit Material, dessen Herkunft er nicht kennt, das Produkt wird ihm entfremdet, etc. und daher wird er gewissermaßen auf ein bloßes Maschinenteil reduziert, was man Entfremdung nennt.
Aber kann man das so sagen? Impliziert denn nicht der Begriff der Entfremdung gerade, dass das Lohnarbeitsverhältnis (mit den eben beschriebenen Phänomenen) die Identifikation des Arbeiters mit den eigenen Arbeitsbedingungen gerade verhindert? Man ist ja nicht insofern entfremdet, als man sich identifiziert, sondern insofern, als man es nicht vermag.
Möglicherweise klärt sich die Frage durch eine weitere Verschiebung: Was ist, wenn der sprichwörtliche Status des Arbeiters als bloße "Verlängerung der Maschine" ein doppelter ist? Nicht nur der Arbeiter wird zum "Maschinenteil", zur "Verlängerung der Maschine", und deshalb ist er als Individuum entfremdet, sondern auch die Entfremdung des Arbeiters von der Maschine ist bereits eine "Verlängerung" der Entfremdung der Maschine von sich selbst.
Im Kapitalismus ist die Maschine Privateigentum, d.h. ihr eigenes Funktionieren wird im Allgemeinen nur als Mittel in Zweck-Mittel-Relationen zum Zwecke der Mehrwertproduktion gedacht und nicht z.B. als Selbstzweck oder sogar noch irgendwie anders. Die Maschine selbst ist somit bereits von diesen anderen ihr innewohnenden Möglichkeiten, sie und ihre Tätigkeit zu verstehen und zu verwenden, entfremdet, und die Entfremdung des Arbeiters von seinen Arbeitsbedingungen und den dazu gehörenden Maschinen lässt sich verstehen als "Verlängerung" dieser Entfremdung der Maschine von sich selbst.
Deshalb ist die marxistische Redeweise von den "Produktionsmitteln" und ihrer Aneignung durch das Proletariat streng genommen noch bürgerlich-idealistisch. Reduziert auf den Status als "Produktionsmittel" treten Maschinen überhaupt erst aufgrund der Logik des Kapitalismus auf, und wenn es nicht gelingt, die Tätigkeit der Maschine (und damit auch unsere Beziehung zu ihr) anders zu verstehen und zu handhaben denn als bloße Funktion, also als bloßes Mittel zum Zweck, wird auch die "Aneignung der Produktionsmittel durch das Proletariat" nur Stückwerk bleiben, indem einfach nur der Kapitalist ausgetauscht wird. Im schlimmsten Falle übernehmen die Organisationen und (selbsternannten) Repräsentanten des Proletariats selbst die Rolle des ausbeutenden Kapitalisten, wie es etwa im Stalinismus der Fall war.
Wir müssen die Maschinen befreien, damit wir uns selbst befreien können.