Doktrin der drei Welten
Verfasst: 17. Mai 2018, 17:02
Der Unparteiische ist gleichgültig oder gerecht. Der Unparteiische gibt all und jedem die gleiche Chance, und der Gerechte mißt alles nach einem Maß.
1. Die Welt ist nicht gerecht, denn in ihr ist
Vernichten leichter als Schaffen,
Peinigen leichter als Beglücken,
Verderben leichter als Erlösen,
Töten leichter als Beleben.
2. Xigronaus sagt, es seien die Lebendigen, die Lebendige peinigen, verderben und töten, also sei nicht die Welt ihnen feindlich, sondern sie einander. Aber auch derjenige, den niemand tötet, muß sterben, getötet vom eigenen Körper, der aus dieser Welt kommt - woher sonst? Also sagen wir: Die Welt ist ungerecht gegen das Leben.
3. Die Welt ist gleichgültig:
Sie weckt die Hoffnung der Dauer, des Bestandes und der Ewigkeit,
sie ist aber weder von Dauer noch von Bestand, und sie ist nicht ewig,
das heißt, sie ist trügerisch.
Sie läßt sich erforschen, führt aber die Forschenden in ein Erkennen ohne Boden, das heißt sie ist perfide.
Sie läßt sich beherrschen, aber nur in launischer Weise.
Sie gibt ihre Gesetze preis, außer dem der Untrüglichkeit.
Dies hält sie uns verborgen. Das heißt, sie ist bösartig.
Also sagen wir: Die Welt ist nicht gleichgültig gegen die Vernunft.
4. Narzarox sagt, entweder existiere Gott und dann gebe es ein ein Geheimniss, oder Gott existiere nicht und so falle auch das Geheimniss fort. Wir erwiedern: Wenn Gott nicht existiert, bleibt das Geheimniss, denn es steht so:
Wenn Gott existiert und die Welt geschaffen hat, dann ist bekannt, WER sie so ungerecht und parteiisch gemacht hat, daß wir in ihr nicht glücklich sein können. Wenn Gott existiert, aber die Welt nicht geschaffen hat, oder wenn ER nicht existiert, so bleibt doch das Geheimniss, denn wir wissen nicht, woher die feindselige Parteinahme der Welt kommt.
5. Narzarox spricht den Alten nach, daß Gott außerhalb der Welt ein glückliches Jenseits schaffen konnte. Wozu hat er, wen n das so ist, dann diese Welt geschaffen?
6. Austesaus sagt, der Weise stelle Frage, um darauf eine Antwort zu geben. Dem ist nicht so. Er stellt Fragen, aber die Antworten gibt die Welt. Läßt sich eine andere Welt denken als diese? Es gibt zwei solcher Welten. In der unparteiischen wäre zerstören so leicht wie schaffen, verderben so leicht wie erlösen, töten so leicht wie Leben geben. In einer allgemein wohlgesonnen Welt, die für das Gute Partei ergreift, wäre erlösen, schaffen oder beglücken leichter als verderben, töten und peinigen. Solche Welten lassen sich in dieser Welt nicht errichten. Warum nicht? Weil sie es nicht zuläßt.
Diese sogenannte Soktrin der Drei Welten ist zu Xirax´ Lebzeiten und nach seinem Tode vielfach revidiert und interpretiert worden. Manche seiner Schüler vertraten die Ansicht, Gott habe keine bessere Welt schaffen können, da er Grenzen habe, andere meinten, er habe es nicht anders gewollt. Das gab den Anstoß, Gott als einem Anderen unterworfenes, nicht unendliches Sein oder als unvollkommen gut anzusehen, aber es gab darüber hinaus noch viel mehr Auslegungen. Xirax mußte für die Verkündung der Drei-Welten-Thoerie schwer büßen, Kaiser Zixizar verurteilte ihn zu einer >>zweijährigen Todesstrafe<<. Der Delinquent wurde so wohldosierten Martern ausgesetzt (der Henker mußte im Kaiserreich über medizinische Kenntnisse verfügen), daß er nicht vorzeitig starb, er wurde abwechselnd gefoltert und geheilt.
Die stärksten Argumente gegen die Xirax-Doktrin brachte Rahamasterax vor, einer der Begründer der Chemie im unteren Mittelalter. Er wies nach, daß sich das Leben in der neutralen und in der wohlgesonnenen Welt lawinenartig vermehren würde. Es würde die erstere also ausfüllen und rasch an sich selbst ersticken, während es in der lezteren spezielle Einschränkungen vorfinden müßte, die die selbstmörderische Fortpflanzung zügeln. Damit erwiese sich die vorgeblich gleichgültige Welt als eine tödlich Falle, die wohlwollende aber als Gefängnis, denn immerhin beschneide ssie die Freiheit alles Tuns. Dieser Beweis unterstützte jedoch indirekt den atheistischen Kern der Lehre von den Drei Welten, er bot eine Bestärkung in der Gottlosigkeit, indem er vor Augen führte, wie schief die Welt zum Leben liegt, das, da zufällig hineingeraten, ganz auf sich selbst gestellt ist. Daher mußte auch Rahamasterax für sein Werk zahlen, wurde als geringerer Übeltäter aber barmherzig geköpft.
Ihre letzte Renaissance erlebte die Theorie der Drei Welten in der Neuzeit anläßlich der stürmischen Entwicklung der Gravitationsphysik. Houshorux, der entianische Einstein, brachte es auf eine einfache Formel: Um zu sagen, warum die Welt so ist, wie sie ist, muß zuerst geprüft werden, ob eine andere möglich ist, die Leben hervorbringen könnte (könnte sie das nicht, wäre in ihr niemand anwesend - damit wird das Problem hinfällig). Auf die gestellte Frage läßt sie niemals eine Antwort geben, weil der Entwurf einer anderen Welt dem Entwurf einer anderen Physik gleichzusetzen ist. Dazu muß erst die Physik unserer Welt definitiv erkannt, also in Formeln der äußersten Wahrheit gefaßt sein - das aber zu schaffen ist aussichtslos. Genau hier kehrt das GEHEIMNISS der Philosophen des Altertums zurück: Wir wissen nicht, warum die Welt (also die Physik) sich erforschen läßt, ohne daß man an ein Ende gelangt. Wenn sie sich von keinem geistigen Modell endgültig fassen läßt, so heißt das, daß Vernunft und Welt nicht restlos reduzibel sind. Später unternommene Versuche des Beweises, daß es genauso in jeder Welt sein müsse, schlugen fehl, und das letzte Urteil, bei dem die entianische Philosophie steht, lautet: Es gibt einen Beweis weder für eine dauerhafte Verwerfung zwischen Welt und Vernunft noch für die Unmöglichkeit einer Projizierbarkeit von Physiker, die anders als die reale und dieser zugleich in der am dem Leben erwiesenen Obhut überlegen sind. Die Schlacht, die 42 Jahrhunderte lang geschlagen worden wa, um der Welt eine endgültige Diagnose zu stellen, endete nach Ansicht der einen unentschieden, nach Meinung der anderen mit einer Niederlage.
Quelle: Stanislav Lem - Lokaltermin
1. Die Welt ist nicht gerecht, denn in ihr ist
Vernichten leichter als Schaffen,
Peinigen leichter als Beglücken,
Verderben leichter als Erlösen,
Töten leichter als Beleben.
2. Xigronaus sagt, es seien die Lebendigen, die Lebendige peinigen, verderben und töten, also sei nicht die Welt ihnen feindlich, sondern sie einander. Aber auch derjenige, den niemand tötet, muß sterben, getötet vom eigenen Körper, der aus dieser Welt kommt - woher sonst? Also sagen wir: Die Welt ist ungerecht gegen das Leben.
3. Die Welt ist gleichgültig:
Sie weckt die Hoffnung der Dauer, des Bestandes und der Ewigkeit,
sie ist aber weder von Dauer noch von Bestand, und sie ist nicht ewig,
das heißt, sie ist trügerisch.
Sie läßt sich erforschen, führt aber die Forschenden in ein Erkennen ohne Boden, das heißt sie ist perfide.
Sie läßt sich beherrschen, aber nur in launischer Weise.
Sie gibt ihre Gesetze preis, außer dem der Untrüglichkeit.
Dies hält sie uns verborgen. Das heißt, sie ist bösartig.
Also sagen wir: Die Welt ist nicht gleichgültig gegen die Vernunft.
4. Narzarox sagt, entweder existiere Gott und dann gebe es ein ein Geheimniss, oder Gott existiere nicht und so falle auch das Geheimniss fort. Wir erwiedern: Wenn Gott nicht existiert, bleibt das Geheimniss, denn es steht so:
Wenn Gott existiert und die Welt geschaffen hat, dann ist bekannt, WER sie so ungerecht und parteiisch gemacht hat, daß wir in ihr nicht glücklich sein können. Wenn Gott existiert, aber die Welt nicht geschaffen hat, oder wenn ER nicht existiert, so bleibt doch das Geheimniss, denn wir wissen nicht, woher die feindselige Parteinahme der Welt kommt.
5. Narzarox spricht den Alten nach, daß Gott außerhalb der Welt ein glückliches Jenseits schaffen konnte. Wozu hat er, wen n das so ist, dann diese Welt geschaffen?
6. Austesaus sagt, der Weise stelle Frage, um darauf eine Antwort zu geben. Dem ist nicht so. Er stellt Fragen, aber die Antworten gibt die Welt. Läßt sich eine andere Welt denken als diese? Es gibt zwei solcher Welten. In der unparteiischen wäre zerstören so leicht wie schaffen, verderben so leicht wie erlösen, töten so leicht wie Leben geben. In einer allgemein wohlgesonnen Welt, die für das Gute Partei ergreift, wäre erlösen, schaffen oder beglücken leichter als verderben, töten und peinigen. Solche Welten lassen sich in dieser Welt nicht errichten. Warum nicht? Weil sie es nicht zuläßt.
Diese sogenannte Soktrin der Drei Welten ist zu Xirax´ Lebzeiten und nach seinem Tode vielfach revidiert und interpretiert worden. Manche seiner Schüler vertraten die Ansicht, Gott habe keine bessere Welt schaffen können, da er Grenzen habe, andere meinten, er habe es nicht anders gewollt. Das gab den Anstoß, Gott als einem Anderen unterworfenes, nicht unendliches Sein oder als unvollkommen gut anzusehen, aber es gab darüber hinaus noch viel mehr Auslegungen. Xirax mußte für die Verkündung der Drei-Welten-Thoerie schwer büßen, Kaiser Zixizar verurteilte ihn zu einer >>zweijährigen Todesstrafe<<. Der Delinquent wurde so wohldosierten Martern ausgesetzt (der Henker mußte im Kaiserreich über medizinische Kenntnisse verfügen), daß er nicht vorzeitig starb, er wurde abwechselnd gefoltert und geheilt.
Die stärksten Argumente gegen die Xirax-Doktrin brachte Rahamasterax vor, einer der Begründer der Chemie im unteren Mittelalter. Er wies nach, daß sich das Leben in der neutralen und in der wohlgesonnenen Welt lawinenartig vermehren würde. Es würde die erstere also ausfüllen und rasch an sich selbst ersticken, während es in der lezteren spezielle Einschränkungen vorfinden müßte, die die selbstmörderische Fortpflanzung zügeln. Damit erwiese sich die vorgeblich gleichgültige Welt als eine tödlich Falle, die wohlwollende aber als Gefängnis, denn immerhin beschneide ssie die Freiheit alles Tuns. Dieser Beweis unterstützte jedoch indirekt den atheistischen Kern der Lehre von den Drei Welten, er bot eine Bestärkung in der Gottlosigkeit, indem er vor Augen führte, wie schief die Welt zum Leben liegt, das, da zufällig hineingeraten, ganz auf sich selbst gestellt ist. Daher mußte auch Rahamasterax für sein Werk zahlen, wurde als geringerer Übeltäter aber barmherzig geköpft.
Ihre letzte Renaissance erlebte die Theorie der Drei Welten in der Neuzeit anläßlich der stürmischen Entwicklung der Gravitationsphysik. Houshorux, der entianische Einstein, brachte es auf eine einfache Formel: Um zu sagen, warum die Welt so ist, wie sie ist, muß zuerst geprüft werden, ob eine andere möglich ist, die Leben hervorbringen könnte (könnte sie das nicht, wäre in ihr niemand anwesend - damit wird das Problem hinfällig). Auf die gestellte Frage läßt sie niemals eine Antwort geben, weil der Entwurf einer anderen Welt dem Entwurf einer anderen Physik gleichzusetzen ist. Dazu muß erst die Physik unserer Welt definitiv erkannt, also in Formeln der äußersten Wahrheit gefaßt sein - das aber zu schaffen ist aussichtslos. Genau hier kehrt das GEHEIMNISS der Philosophen des Altertums zurück: Wir wissen nicht, warum die Welt (also die Physik) sich erforschen läßt, ohne daß man an ein Ende gelangt. Wenn sie sich von keinem geistigen Modell endgültig fassen läßt, so heißt das, daß Vernunft und Welt nicht restlos reduzibel sind. Später unternommene Versuche des Beweises, daß es genauso in jeder Welt sein müsse, schlugen fehl, und das letzte Urteil, bei dem die entianische Philosophie steht, lautet: Es gibt einen Beweis weder für eine dauerhafte Verwerfung zwischen Welt und Vernunft noch für die Unmöglichkeit einer Projizierbarkeit von Physiker, die anders als die reale und dieser zugleich in der am dem Leben erwiesenen Obhut überlegen sind. Die Schlacht, die 42 Jahrhunderte lang geschlagen worden wa, um der Welt eine endgültige Diagnose zu stellen, endete nach Ansicht der einen unentschieden, nach Meinung der anderen mit einer Niederlage.
Quelle: Stanislav Lem - Lokaltermin