Ideolocracy
Womöglich erhellende Bemerkungen zum Film
Idiocracy.
1. Das Offensichtliche: Der Film kommt trotz seiner vorgetäuscht kritischen oder satirischen Absicht an keinem Moment über Popcornkino hinaus. Das weniger Offensichtliche: Der Film verengt und verzerrt auf subtile und höchst gemeine Art die Wahrnehmung des Zuschauers und kommt daher als einer der ersten Filme auf die rote Liste verbotener Medien, wenn ich die Weltherrschaft übernommen habe.
2. Der namenlose Erzähler des Films - nennen wir ihn der Einfachheit halber
Thilo - ist wie zu erwarten selbstverständlich ein
unreliable narrator. Alles, was er sagt, ist entweder offensichtlich gelogen (wie z.B. seine Erklärung des angeblichen Intelligenzrückgangs als Ergebnis natürlicher Selektion) oder nur
cum grano salis zu nehmen - und damit meine ich ein Salzkorn, das ungefähr so groß ist wie der Felsen, an den Joe im Film gekettet wird.
3. Hier stellt sich die Frage nach dem Adressaten. An welches Publikum wendet sich Thilo? Offensichtlich nicht an die angeblich Verdummten, dazu passt seine pseudowissenschaftliche und künstlich gehobene Sprache nicht. Ebensowenig jedoch an intelligente und gebildete Menschen, da diese seine Lügen problemlos durchschauen. Als seine primären Addressaten ist daher eine gesellschaftliche Gruppe auszumachen, deren Bestand über Generationen hinweg weder nach oben noch nach unten größere Fluktuationen erlebt hat: das der halbgebildeten Durschnittsmenschen. Diese Tatsache bestimmt die gesamte Perspektive dieses Films bis hin zur Struktur der in ihm wirksamen Mechanismen ideologischer perspektivischer Verzerrung. (Anmerkung: Noch zu zeigen, warum der Film auch darin versagt, selbst diese Bevölkerungsgruppe anzusprechen.) Ein angemessenerer Titel für den Film wäre daher
Mediocracy.
4. Allem Anschein und dem Namen des Films zum Trotz sind die Menschen der Zukunft recht offensichtlich
keine Idioten. Sie sind beispielsweise (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) zu folgenden Dingen immer noch in der Lage: ein der Wasserversorgung ähnliches System zu betreiben (obwohl sie kein Wasser durch die Rohre pumpen); durchgehende Stromversorgung und Fernsehübertragung zu garantieren; Waffen und Munition herzustellen; Monster-Trucks zu bauen. Kurz, sie sind zu allen Tätigkeiten auch weiterhin in der Lage, die ihnen Vergnügen bereiten - selbst dann, wenn es darum geht, die
mittelbaren Voraussetzungen dafür aufrecht zu erhalten, also z.B. Stromversorgung und Fernsehübertragung. Es ist nicht
Intelligenz, an der es ihnen mangelt. Es scheint vielmehr so, als besäßen sie eine mentale Blockade, die es ihnen unmöglich macht, ihre geistigen Ressourcen für etwas anderes als die eigene unmittelbare Triebbefriedigung zu nutzen.
Das Entstehen einer solchen Blockade auf gesamtgesellschaftlicher Ebene als Resultat einer natürlichen Entwicklung kann ausgeschlossen werden. Es ist, als seien Teile der natürlichen menschlichen Anlagen gezielt blockiert worden.
5. Nicht näher thematisierter Aspekt der Handlung: Die Übernahme staatlicher Institutionen und der Infrastruktur durch private Unternehmen, z.T. aus völlig anderen Bereichen. Der beste Beweis dafür, dass diese Entwicklung mit dem angeblichen Intelligenzrückgang nicht in der suggerierten Weise zusammenhängt, besteht darin, dass dieselben Vorgänge auch in der Wirklichkeit stattfinden, während sich die durchschnittliche Intelligenz der Bevölkerung Wissenschaftlern zufolge nicht wesentlich verändert hat. (Im 20. Jahrhundert stieg die Durchschnittsintelligenz in den westlichen Staaten sogar durchgehend an. Seit etwa Mitte der Neunzigerjahre bleibt sie unverändert.) Schlussfolgerung: Angebliche Verdummung der Bevölkerung nicht
Ursache der desolaten ökonomisch-politischen Situation im Film.