Du weisst nicht, was Klassenkampf ist, aber betreibst Kapitalismuskritik?
Ich kann dir ja beizeiten mal eine Liste mit Klassikern sozialistischer, anarchistischer und sozialdemokratischer Literatur zusammenstellen.
Streiks (insbesondere Massenstreiks) gehören u.A. dazu, auch gewerkschaftliche oder parteiliche Organisation, etc. - im Moment haben wir allerdings keine revolutionäre Situation, weswegen es gegenwärtig letztlich nur darum gehen kann, eben die Selbstorganisation und Vernetzung der Arbeiter untereinander zu unterstützen und auszubauen. Die Bildung von Betriebsräten ist innerhalb des Kapitalismus eigentlich nur lokale Ausbesserungsarbeit, kann aber natürlich helfen, Übervorteilungen einzelner Arbeitnehmer durch einzelne Arbeitgeber aufzudecken und zu beenden und fällt somit natürlich im weitesten Sinne unter "Klassenkampf". Historisch gesehen gibt es aber natürlich auch noch eine andere Bedeutung des Wortes "Betriebsrat" bzw. Arbeiterrat. Ein
revolutionärer "Betriebsrat" hätte in der gegenwärtigen Situation gar keine andere Aufgabe als die, sich darauf vorzubereiten, in einer revolutionären Situation den Arbeiterrat für die jeweilige Firma zu bilden. Als "offizielle" Institution kann er in der gegenwärtigen Situation nicht existieren. Im (leider unwahrscheinlichen) Falle einer sozialistischen Revolution bilden sie sich dann aber wieder.
Was Freiräume angeht, so können diese eine Rolle spielen, um z.B. andere Formen der Organisation und Produktion zu erproben oder um Räume für weitere Vernetzung oder (was Agamben wohl primär im Sinn haben mag) Theoriebildung zu schaffen. Ich sag' also nicht, dass die Erzeugung von Freiräumen nicht
auch Teil einer antikapialistischen Strategie sein kann. Der Unterschied ist, dass man im "Aussteigertum" den Freiraum erschafft, um sich von der als "sündig" wahrgenommenen (daher das Armutsideal) kapitalistischen Umwelt zu isolieren, während ein revolutionärer Freiraum sich gerade
nicht isoliert, sondern sich gerade mit den sonstigen antikapitalistischen Bestrebungen zu
vernetzen versucht, bzw. selbst ein Teil der Strategie darstellt. In gewisser Weise klinkt er sich nicht aus den gesellschaftlichen Verhältnissen
aus, sondern er tut genau das Gegenteil: Er klinkt sich (fast wie ein Brecheisen) auf eine bestimmte Weise und an bestimmten Punkten wieder
in sie ein.
(Das ist ja auch genau die Idee von Hakim Beys "Temporärer Autonomer Zone", und ich habe das Gefühl, dass Bey u.A. gerade deshalb das "temporär" so sehr betont, um das Missverständnis zu
vermeiden, dass es sich dabei um bloß unpolitisches Aussteigertum handelt. In diesem Punkt ist Hakim Bey revolutionärer als Agamben.)
Das ist aber genau der Schlüssel zum Slogan "Ausweg statt Kampf". Die Alternative ist Vereinzelung und Isolierung einerseits oder Solidarisierung, Vernetzung und gemeinsame Strategie andererseits, und der Fokus auf den "Ausweg" ist letztlich eine Empfehlung zu Ersterem, wo Letzteres angebracht wäre. Die Sache ist die: Du kannst ja versuhen, dir einen Freiraum zu schaffen und da zu leben und zu produzieren, wie du willst - auf dem ärmlichen Niveau, das dir nach deiner Selbstisolierung noch möglich ist. Aber irgendwann will das Kapital dein Land und deine Produktivkräfte (inklusive deiner Arbeitskraft) wiederhaben. Wenn das passiert, gibt es für dich als isolierten Auswegler zwei Möglichkeiten: Entweder du lässt dich kaufen (insbesondere dann, wenn deine Selbstverarmung bereits einen bestimmten Punkt erreicht hat), oder du kommst ganz schnell dazu, deinen "Ausweg" eben doch wieder im Sinne eines "Konzeptes des Kampfes" zu verstehen.