Der Freitag hat geschrieben:„Wollen wir wirklich die Banken besitzen?“
Wie weiter mit Occupy und Co.? Nach einem hoffnungsvollen Herbst sucht eine bunte Bewegung nun eine Perspektive für 2012 – und wartet auf wärmere Tage
Was Occupy mit der Brownschen Molekularbewegung gemeinsam hat? In beiden Fällen ist das Ausmaß der Aktivität der einzelnen Teilchen temperaturabhängig. Zum „globalen Aktionstag“ am vergangenen Sonntag kamen weit weniger Menschen zusammen als auf dem Höhepunkt der Proteste im Herbst. „Wenn der Winter überstanden ist“, hört man von den Bankenkritikern in Frankfurt, „werden es wieder mehr Zelte.“ In Berlin ist vor einigen Tagen ihr Lager geräumt worden, ein neues soll es nicht vor dem Frühjahr geben. Und auch Stefan Lindner von Attac hoffte in der Tageszeitung auf wärmere Zeiten: „Auf der nördlichen Halbkugel geht es derzeit eher darum, die Bewegungen über den Winter zu kriegen.“
Mit dem Hinweis auf demonstrationsunfreundliche Außentemperaturen allein lässt sich der Stand der Bewegung aber kaum erklären. Was hier unter dem Label Occupy firmiert, sich dort als Teil der Krisenproteste versteht und woanders an die Demokratiebewegungen in Nordafrika und Spanien anknüpfen will, steckt mitten in einer Findungsphase, deren Ausgang offen ist.
Das Muster ist von früheren Bewegungszyklen durchaus bekannt: Es beginnt mit einem schnellen, medial angetriebenen Höhenflug und löst gewaltige Hoffnungen aus. Die Buntheit wird alsbald zum Problem, es müssen Grenzen der Gemeinsamkeit gezogen werden, was zur konfliktbeladenen Frage führt, ob Einheit wichtiger als Klarheit ist. Das Verhältnis zu den etablierten Bündnispartnern wird schnell ebenso ein Thema wie die Forderung nach einem ordentlichen Programm. Früher oder später müssen die Aktiven zur Kenntnis nehmen, dass sich Mobilisierungserfolge nicht beliebig wiederholen oder gar steigern lassen. Wenn die Bewegung fast nur noch Gegenstand des Feuilletons ist, kommt die Zeit der Vernetzungstreffen und Aktionskonferenzen. Sie blicken dann in eine Zukunft, die oft schon gar keine mehr ist.
Verflogener Funke
Peter Grottian, als Politologe ebenso bekannt wie als Politaktivist, hat sich unlängst denn auch skeptisch geäußert. „Der Funke, der bei den Protesten am 15. Oktober übersprang, ist leider zwischenzeitlich verflogen, und es ist völlig offen, ob er im Frühjahr neu zu zünden beginnt.“
An diesem Wochenende kommen Aktive aus verschiedenen Teilen der Linken und Netzwerken gleich zu zwei Treffen zusammen, auf denen Verabredungen über die Zukunft der Krisenproteste getroffen werden sollen. Am Samstag wird in Frankfurt ein „European Day of Action against Capitalism“ vorbereitet, der am 31. März „den Auftakt für eine weitergehende, europaweite Kooperation linker Gruppen und Basisgewerkschaften mit massiven Protesten im ganzen Jahr 2012“ bilden soll. Einen Tag später beginnt ebenfalls in Frankfurt die „bundesweite Planung von gemeinsamen Aktivitäten 2012“. Zwar seien Occupy- und die Echte-Demokratie-Jetzt-Bewegung auch „in Deutschland angekommen“. Bis die „Proteste erfolgreich sind, bleibt aber noch einiges zu tun“, heißt es bei Attac. Es sei „höchste Zeit“, die Kräfte zu bündeln.
Neben dem bereits beschlossenen Aktionstag am 31. März, der eher ein linksradikales Spektrum ansprechen soll, ist auch eine Protestwoche im Mai im Gespräch, die in Anlehnung an das spanische Vorbild aus dem vergangenen Jahr am 15. Mai starten könnte. Andere Aktivisten plädieren für einen dreitägige Schwerpunkt in Frankfurt – wo man Ende Mai die Hauptversammlung der Deutschen Bank blockieren, tags darauf das Finanzzentrum der Stadt lahmlegen und schließlich am 2. Juni zu einer Großdemonstration am Sitz der Europäischen Zentralbank aufrufen will. Vorgeschlagen sind ebenso eine „langfristig angelegte Kampagne 2012/2013 mit dezentralen und zentralen Aktionen“, die mit einem Volksbegehren einhergehen soll. Und schließlich wird dazu aufgerufen, sich an den traditionellen Gewerkschaftskundgebungen zu beteiligen – Motto: Re-Occupy 1. Mai.
Fehlender sozialer Protest
Der „Mut zur Veränderung“, wie eines der Vernetzungstreffen überschrieben ist, geht in einer ziemlich bunten Szene mal mehr und mal weniger weit. Vor allem die organisierte Linke drängt, sich nicht nur auf Fragen der Demokratie und der Regulierung zu beschränken, weil die Lösung der Probleme nicht darin liegen könne, einen weniger „gierigen“ Kapitalismus zu fordern. Diskutiert wird inzwischen auch, ob die Kreditinstitute überhaupt das richtige Symbol für die Proteste sind. „Wollen wir wirklich die Banken besetzen und besitzen“, fragt die linke Gewerkschaftsaktivistin Mag Wompel. „Sollten wir nicht lieber das besetzen und besitzen, was wir wirklich brauchen? Sind Zelte im Kalten unser Traum vom schöner Wohnen?“
Es geht dabei nicht zuletzt um eine klassenpolitische Dimension der Krisenproteste. Statt vor Banken zu campen schlägt Wompel vor, den Blick auf Wohnungen, Nahverkehr, Schulen zu richten, auf die eigene Arbeitsstelle und den von Pfändung bedrohten Nachbarn. Man habe zwar „durchaus so etwas wie eine Demokratiebewegung“, meint Polit-Professor Grottian. „Sozialer Protest dagegen ist so gut wie nicht vorhanden und das bei zwölf Millionen Menschen, die verarmt, obdachlos, arbeitslos sind.“ So sieht es auch Christoph Kleine vom Netzwerk Interventionistische Linke. „In Deutschland hat es bislang noch kein Zeichen gegeben, das dem Ausmaß des Sozialangriffs adäquat war“, sagte Kleine der Tageszeitung. „Wir brauchen jetzt Occupy plus.“