Mein Interesse am Mönchstum weckte der Umstand, dass nicht selten Menschen, die der vermögendsten und gebildetsten Schicht angehörten, wie es bei Basilius dem Großen, Benedikt von Nursia, dem Gründer des Benediktinerordens, und später bei Franziskus der Fall war, den Entschluss fassten, aus der Gesellschaft, in der sie bislang lebten, auszusteigen, um eine radikal andere Lebensgemeinschaft oder, was meiner Ansicht nach dasselbe ist, eine radikal andere Politik zu begründen. Dies begann zeitgleich mit dem Niedergang und Verfall des Römischen Reiches. Bemerkenswert daran ist, dass diese Leute nicht auf den Gedanken kamen, den Staat, in dem sie lebten, zu reformieren oder zu verbessern, das heißt die Macht zu ergreifen, um ihn zu verändern. Sie kehrten ihm einfach den Rücken.
Agamben präsentiert hier in der Tat ein Modell, das ausschließlich den "vermögendsten und gebildetsten Schichten" vorbehalten ist. Ayn Rand ist wenigstens so ehrlich,
offen zuzugeben, dass ihre "Galt's Gulch" primär ein Paradies für Superreiche ist, die sich noch ein paar Wissenschaftler und Philosophen zur Belustigung hinzuholen. Weil Agamben aber primär Linke einfangen will, muss er die selbe Soße als neue antikapitalistische Befreiungstheologie verkaufen. Dabei können wir dann auch schön ignorieren, dass auf das römische Reich nicht etwa die klassenlose Gesellschaft folgte, sondern tausend Jahre feudale Knechtschaft. Aber für jemanden, der Armut glorifiziert, ist das vermutlich gerade wünschenswert.
Agamben: Ich glaube in der Tat, das Modell des Kampfes, das die politische Einbildungskraft der Moderne paralysiert hat, sollte durch das Modell des Auswegs ersetzt werden.
Das ist doch bloßes Gerede. Entweder Agamben meint mit "dem Modell des Kampfes" und "dem Modell des Auswegs" zwei verschiedene spezifische Modelle für konkretes Handeln, dann fehlt aber völlig, auf welche Modelle er sich damit konkret bezieht, oder er meint den "Begriff" oder die "Kategorie des Kampfes" bzw. "Ausweges", dann sagt er einfach überhaupt nichts, weil man verschiedene Begriffe für völlig Verschiedenes nicht durcheinander ersetzen kann. Genau so kann man Leuten mit Worthülsen den Blick vernebeln. Ich kann genau die selbe antikapitalistische Revolution entweder als einen Kampf gegen den Kapitalismus oder als einen Ausweg aus dem Kapitalismus beschreiben, ohne dass sich am konkreten Handeln der Leute auch nur das Geringste ändert, aber Agamben meint anscheinend, das würde irgendeinen - vermutlich "seinsgeschichtlichen", schließlich hat er tief genug in Heidegger hineingeschaut - Unterschied machen. Solange die Begriffe unbestimmt bleiben, hat man eine Nullaussage, und sobald man einen Inhalt hinzunimmt, ergibt sich ein ausgemachter Unsinn.
Offensichtlich hängen das faustische Modell des Kampfes und das kapitalistische Modell der Produktivitätssteigerung aufs Engste zusammen.
Offensichtlich.
So etwas wie "
das Modell
des Kampfes" gibt es überhaupt nur in Agambens Kopf. Es gibt verschiedene Kämpfe und es gibt verschiedene Modelle von diesen Kämpfen. Mit dem "Modell der Produktivitätssteigerung" verhält es sich ähnlich. Produktivitätssteigerung
als solche ist jedenfalls nicht grundsätzlich kapitalistisch. Über die Formen, die die Produktivitätssteigerung im Kapitalismus annimmt und warum sie im Kapitalismus besonders fokussiert wird, weiss Agamben natürlich nichts zu sagen. Überhaupt ist gar nicht klar, was an einer Steigerung der Produktivität überhaupt auszusetzen ist. In einer vernünftigen, d.h. klassenlosen Gesellschaft bedeutet eine Produktivitätssteigerung jedenfalls nicht mehr, sondern natürlich
weniger Arbeit, weil das Benötigte in kürzerer Zeit produziert werden kann.
Sie werden einwenden, dass das, was das Mönchstum ermöglicht hat, der Glaube war, der heute gewiss fehlt. Das ist es, was Heidegger gemeint haben muss, als er im Spiegel- Interview jenen stets unverstandenen Satz gesagt hat: "Nur ein Gott kann uns retten".
Ich find's immer wieder schick, wenn die Realität die Satire einholt.
Dass Heidegger mit "Gott"
eigentlich "Hirte", d.h. "Führer" meinte, ignorieren wir mal geflissentlich. Wir wollen uns in unseren braunen Franziskanerkutten ja nicht den Faschismusvorwurf zuziehen.
Das griechische Wort für "Glaube", pistis, das im Neuen Testament verwendet wird, bedeutet ursprünglich "Kredit", und Geld ist nichts anderes als ein Kredittitel. Doch dieser Titel basiert – besonders seit Nixon die Goldbindung des Dollar aufgehoben hat – auf dem Nichts.
Der alte Mythos, dass der Wert des Geldes irgendwie von der Goldbindung abhinge. Vielleicht hätte Agamben mal einen Blick in Marxens "Grundrisse zur Kritik der Politischen Ökonomie" werfen sollen. Oder ins "Kapital". Da hätte er gefunden, auf was der Wert des Geldes wirklich zurückzuführen ist, nämlich auf Produktionszeit und Bedürfnis, und warum die Goldbindung überhaupt keine Rolle spielt. Der Wert des Goldes wird letztlich eben auch nicht anders bestimmt als der des Geldes. Überhaupt hat sich Agamben mit dieser Bemerkung verraten. Der Mythos der Relevanz der Goldbindung für den Wert ist eine recht typisch konservative Idee. Was dahinter steht, ist nicht etwa eine antikapitalistische Haltung, sondern die Glorifizierung älterer, primitiverer Formen von Kapitalismus.
Die europäischen Demokratien, die sich laizistisch nennen, beruhen auf einer leeren Form des Glaubens.
Agamben bildet sich ein, gesellschaftliche Verhältnisse beruhen auf Glauben und nicht umgekehrt. Ein alter Hut.
Manchmal habe ich das Gefühl, Agamben ist die Reinkarnation Max Stirners. Leider lässt die Reinkarnation von Karl Marx aber noch auf sich warten...