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Re: Poly-Tic
Verfasst: 22. September 2017, 15:43
von fehlgeleitet
http://ethik-und-gesellschaft.de/ojs/in ... -art-4/487.
VerfechterInnen eines generellen Verbots von Prostitution oder der
Bestrafung derjenigen, die sexuelle Dienstleistungen kaufen, betrachten
Prostitution als Ausdruck patriarchaler Gewalt gegen Frauen
(McKinnon 2014). Jede Frau, die sexuelle Dienstleistungen anbietet,
ist in dieser Denkweise per se Opfer von männlicher Gewalt. Die nicht
nur in radikal-feministischen Kreisen anzutreffende Assoziation von
Prostitution mit Gewalt, deutet auf eine tiefsitzende Ambivalenz gegenüber
bzw. Ablehnung von Sexarbeit hin. Dabei fokussiert dieser
Diskurs nahezu ausschließlich auf Formen persönlicher, direkter Gewalt
durch skrupellose Menschenhändler und Kunden. Strukturelle
und symbolische Gewalt30 bleiben mit dem Hinweis auf ein patriarchal-
kapitalistisches System abstrakt.
insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Studie zum Ergebniss kommt, das Prostitution nicht prinzipiell schlecht ist, aber die Politik hier zuwenig für die Arbeitnehmerrechte tut (man könnte hier fast schon von aktiver Ignoranz sprechen), die dadurch fast automatisch in ausbeuterische Verhältnisse abrutschen.
Die Studie ist zwar nur für Österreich, in Deutschland sieht es aber vermutlich nicht anders aus.
Ich finde es intressant, dass das Thema auch zu dreckig für linke Parteien scheint. Selbst Marx sprach in diesem Zusammenhang auch von Lumpenproletariat, das nicht unterstützenswert wäre.
Re: Poly-Tic
Verfasst: 22. September 2017, 16:00
von Tarvoc
fehlgeleitet hat geschrieben:Ich finde es intressant, dass das Thema auch zu dreckig für linke Parteien scheint. Selbst Marx sprach in diesem Zusammenhang auch von Lumpenproletariat, das nicht unterstützenswert wäre.
Marx' Verhältnis zum "Lumpenproletariat" war von recht komplexen Ambivalenzen geprägt. Das, was meist herangezogen wird, ist die Passage aus dem 18. Brumaire, wo Marx sagt, das Lumpenproletariat könne kaum anders als sich jemandem wie Louis Bonaparte anzuschließen.
Prostitution heutzutage ist aber gar nicht mit der der damaligen Zeit zu vergleichen, einfach weil die Verteilung über gesellschaftliche Schichten sehr viel komplexer geworden ist. Heute gibt es Edelprostituierte, die zu den Topverdienern gehören, legale Prostituierte mit mittleren Einkommen, und klassische "Lumpenprostituierte" im Grenzbereich zur Kriminalität oder zur Zwangsprostitution. Zu Marx' Zeiten war dieser dritte Typus so grundsätzlich bestimmend für das ganze Berufsfeld, dass jede Differenzierung überflüssig war. Das ist heute nicht mehr der Fall.
Re: Poly-Tic
Verfasst: 22. September 2017, 16:07
von fehlgeleitet
also die Studie hier sagt das Top-verdiener unter den Prostituierten in Österreich absolut selten sind (von 3% war die Rede, die über 2000 €/ Monat verdienen), und die meisten ne 60-Stunden Woche haben um dann mit nem Appel und nem Ei nach hause zu gehen.
Also das die Mär vom leicht verdienten Gelde eben nur eine Mär ist.
Und Mätressen mit viel Einfluß gab es damals doch auch
Gab es im Vatikan nicht auch mal ne Pornokratie, also Herrschaft der Huren?
Re: Poly-Tic
Verfasst: 22. September 2017, 17:10
von Cpt. Bucky Saia
fehlgeleitet hat geschrieben:
insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Studie zum Ergebniss kommt, das Prostitution nicht prinzipiell schlecht ist, aber die Politik hier zuwenig für die Arbeitnehmerrechte tut (man könnte hier fast schon von aktiver Ignoranz sprechen), die dadurch fast automatisch in ausbeuterische Verhältnisse abrutschen.
Du den Eindruck habe ich aber in so gut wie jedem Sektor des Arbeitsmarktes derzeit mit Ausnahme der Politik selber und des Managment Sektors bzw Bankenkonglomerats.
Re: Poly-Tic
Verfasst: 22. September 2017, 17:12
von fehlgeleitet
das macht es eben noch schwerer das ganze einzuordnen.
konkret wird sexarbeit nicht als arbeit anerkannt, wird aber besteuert. das bedeutet halt keine rente.
Re: Poly-Tic
Verfasst: 23. September 2017, 12:49
von fehlgeleitet
ok Schopenhauer kann man ja nicht unbedingt als referenz nehmen, wenn es um die Weiber geht, aber der meint das vor allen Dingen andere Frauen zur Isolation von Prostituierten beitragen, da ihre Ehemänner eben auch ihr Kapital sind.
Man sollte hier aber auch die Verachtung der Väter erwähnen, die die promiskuitiven Töchter trifft.
Sicherlich ein komplexes Thema, aber wie gesagt ich finde es intressant, wie auf diesem Gebiet keine echte Solidarität stattfindet. Und somit denke ich, dass Solidarität nur unter bestimmten Gruppen möglich ist, die eine Art Sittlichkeit vorraussetzt. Fehlt diese Sittlichkeit, so kann sich das bürgerliche Bewußtsein vielleicht noch von Opfern patriachaler Gewalt sprechen, aber sich nicht mehr wirklich in sie hineinversetzen, geschweige denn sie als gleichwertig anerkennen.
Und somit muß ich leider schlußfolgern, dass Solidarität gewisse Vorraussetzungen hat, die man eben nicht so ohne weiteres als gegeben annehmen kann.
Re: Poly-Tic
Verfasst: 23. September 2017, 14:15
von Tarvoc
fehlgeleitet hat geschrieben:Sicherlich ein komplexes Thema, aber wie gesagt ich finde es intressant, wie auf diesem Gebiet keine echte Solidarität stattfindet. Und somit denke ich, dass Solidarität nur unter bestimmten Gruppen möglich ist, die eine Art Sittlichkeit vorraussetzt.
Quark. Arbeitersolidarität ergibt sich aus den gemeinsamen Interessen der Arbeiter, nicht aus ihrer "Sittlichkeit". Insgesamt ergibt sie sich heute in
den meisten Branchen leider zunehmend selten, was mit dem zunehmenden Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt zu tun hat. Bei Beschäftigungen in den Grauzonen des Rechts stehen selbstverständlich noch ganz andere
materielle Faktoren der Herausbildung von Solidarität im Weg, die mit der Unsittlichkeit der Individuen weniger zu tun haben als damit, unter welchen
Verhältnissen sie arbeiten müssen.
(Kann etwa wirklich nur der Marxismus Diskordier davor bewahren, ausgerechnet auf die protestantische Sittlichkeitsidee hereinzufallen?
)
Re: Poly-Tic
Verfasst: 23. September 2017, 15:01
von fehlgeleitet
ich glaube du hast mich falsch verstanden.
also Schopenhauer sieht diese Sittlichkeit, er nennt es Ehre, auch nicht als irgendetwas an was seiner selbst wegen wichtig wäre.
Der Punkt ist, dass diese Ehre als eine Art Schutzschild dient, um nicht Ausgrenzung und Diskriminierung anheim zufallen, also quasi exkommuniziert zu werden.
Dagegen verstößt eben die Prostituierte, indem sie den Pakt der Frauen, die Kontrolle des Ehemanns einer anderen Frau nicht zu behindern, unterläuft. Es sind also sehr wohl materielle Intressen, die hinter dieser Sittlichkeit stehen. Dementsprechend können vogelfreie quasi gefleddert werden. Und da jeder der den Bann nicht beachtet ebenfalls suspekt ist, wird dem vogelfreien vermutlich auch niemand beistehen.
Re: Poly-Tic
Verfasst: 23. September 2017, 16:13
von Tarvoc
fehlgeleitet hat geschrieben:Dagegen verstößt eben die Prostituierte, indem sie den Pakt der Frauen, die Kontrolle des Ehemanns einer anderen Frau nicht zu behindern, unterläuft. Es sind also sehr wohl materielle Intressen, die hinter dieser Sittlichkeit stehen.
Aber nicht die der Prostituierten. Dass es nicht in ihrem Interesse ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der man erst irgendein moralisches Ideal erfüllen muss, bevor man in den Genuss von Grundrechten kommt, sollte offensichtlich sein - schon gar nicht, wenn dieses moralische Ideal ihren eigenen Berufsstand grundsätzlich ausschließt. Überhaupt ist nicht klar, wieso ihre Nichtanerkennung durch den
Rest der Gesellschaft ihre Solidarisierung
untereinander grundsätzlich verhindern sollte - und das hattest du ja behauptet.
Es ist übrigens auch äußerst fraglich, ob es rational vertretbar ist, persönliche Beziehungen als Eigentumsrecht an anderen Personen zu organisieren. Es ist
eine Sache, dass Untreue bei Scheidungsverhandlungen mit in Betracht gezogen wird. So wie ich das sehe, geht es dabei eher um die Lüge als um das Vögeln. Es ist eine
andere Sache, die Ehe als exklusive Kontrolle zu
definieren. Schon weil damit nicht nur Prostituierte marginalisiert werden, sondern auch alle, die sich z.B. gemeinsam entscheiden, eine offene Ehe zu führen. (Ich kenne ein paar solcher Ehepaare.)
Re: Poly-Tic
Verfasst: 23. September 2017, 16:47
von fehlgeleitet
Tarvoc hat geschrieben:fehlgeleitet hat geschrieben:Dagegen verstößt eben die Prostituierte, indem sie den Pakt der Frauen, die Kontrolle des Ehemanns einer anderen Frau nicht zu behindern, unterläuft. Es sind also sehr wohl materielle Intressen, die hinter dieser Sittlichkeit stehen.
Aber nicht die der Prostituierten. Dass es nicht in ihrem Interesse ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der man erst irgendein moralisches Ideal erfüllen muss, bevor man in den Genuss von Grundrechten kommt, sollte offensichtlich sein - schon gar nicht, wenn dieses moralische Ideal ihren eigenen Berufsstand grundsätzlich ausschließt. Überhaupt ist nicht klar, wieso ihre Nichtanerkennung durch den
Rest der Gesellschaft ihre Solidarisierung
untereinander grundsätzlich verhindern sollte -
und das hattest du ja behauptet.
nein. sorry für meine mißverständliche Ausdrucksweise, aber das meinte ich überhaupt nicht. In der Studie steht auch, dass Prostituierte sich untereinander organisieren, wenn es zum Beispiel um Preisabsprachen geht.
Was ich aber beobachten kann, ist das linke Parteien, so wie ich sie bis jetzt wahrgenommen haben, keinerlei Anstrengungen machen die Rechte von Prostituierten zu stärken. Das einzige was kommt ist Freierbestrafung und Berufsverbot, was die Prostitution natürlich in die Illegalität drängt und die Arbeitsbedingungen erheblich verschlimmert. Da fahren sie die gleiche Linie wie konservative und rechte Parteien.
Daraus schließe ich, dass es ihnen aus irgendeinem Grund nicht möglich ist, Solidarität zu zeigen bzw. nur so weit sie die Frauen aus der Prostitution holen, die das - vielleicht - gar nicht wollen.
edit: ach ich sehe was du meinst. natürlich bleibt die Frage offen, welche Sittlichkeit nun die Prostetuierten haben, um sich untereinander zu solidarisieren. Ich vermute, das es auch da alpha-hühner und omega-hühner geben wird, aber stecke natürlich nicht so tief drin.
Tarvoc hat geschrieben:
Es ist übrigens auch äußerst fraglich, ob es rational vertretbar ist, persönliche Beziehungen als Eigentumsrecht an anderen Personen zu organisieren. Es ist eine Sache, dass Untreue bei Scheidungsverhandlungen mit in Betracht gezogen wird. So wie ich das sehe, geht es dabei eher um die Lüge als um das Vögeln. Es ist eine andere Sache, die Ehe als exklusive Kontrolle zu definieren. Schon weil damit nicht nur Prostituierte marginalisiert werden, sondern auch alle, die sich z.B. gemeinsam entscheiden, eine offene Ehe zu führen. (Ich kenne ein paar solcher Ehepaare.)
Auch hier - ich wollte nicht als Fürsprecher der Ehe auftreten. Ich werde in diesem Leben nicht mehr heiraten und vermutlich auch keine wirkliche Beziehung mehr führen und kann auch nicht verstehen wie andere es tun.
Es ging mir nur darum zu verstehen, warum Prostituierte von der Gesellschaft und ihrer Sittlichkeit diskrimniert werden. Und natürlich könnte man auch mal den Feminismus von dieser Seite beobachten, inwiefern er wirklich alle Frauen einschließt.